Marlene Suson 1
der Junge zu. Hoffentlich hielt der Stoff!
Ferris klammerte sich mit beiden Händen an das Ende der
Leine. Langsam, Hand über Hand greifend, zogen Rachel und Toby gemeinsam die Männer an Land.
Kaum hatte der Retter ihre Absicht erkannt, ließ er den an- deren Mann los. Nun fiel es Rachel und Toby viel leichter, den Nichtschwimmer ans Ufer zu ziehen.
Als er es erreichte, zog er sich mit eigener Kraft hinauf. Er hu- stete und keuchte noch immer, war jedoch offensichtlich in guter Verfassung. Nachdem er ein paar Schritte zwischen sich und den reißenden Fluß gelegt hatte, fiel er auf die Knie und küßte den Boden.
Rachel schaute zurück zu dem anderen Mann, der noch immer im Wasser war. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß er fast am Ufer war und es ohne Hilfe schaffen würde, lief sie zu dem knienden Mann. Sie ließ ihre durchweichten Unterröcke fallen und hockte sich neben ihn.
Er klapperte mit den Zähnen und zitterte heftig, aber er spuckte kein Wasser mehr.
Hastig knöpfte Rachel die Jacke ihres Reitkleides auf. „Neh- men sie das, damit Ihnen wärmer wird‚, sagte sie, betrachtete je- doch zweifelnd seine breiten Schultern. „Ich bin allerdings nicht sicher, ob sie Ihnen paßt.‚
„Nein, Ma’am, das wird sie wohl nicht.‚ Ferris schlang die Arme fest um seinen Körper. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich brauche die Jacke nicht. Ich komme schon zurecht.‚
Rachel griff nach ihren nassen, verschmutzten Unterröcken, stand auf und wandte sich wieder dem Fluß und dem anderen Reitknecht zu.
Sein Mut hatte ihr größte Bewunderung und Respekt eingeflößt. Er war in das reißende Wasser gesprungen, um seinen Gefährten zu retten, obwohl er wußte, daß es auch für ihn den Tod bedeuten konnte. Dies war die tapferste, selbstloseste Tat, die sie je gese- hen hatte.
Als er aus dem Wasser stieg, weiteten sich ihre Augen. Er hatte ein sehr männliches, markantes Gesicht mit einer breiten Stirn, einer fast aristokratischen Nase, hohen Wangenknochen, einem strengen Mund, der nicht häufig zu lächeln schien, und einem kantigen Kinn. Das Wasser rann ihm in kleinen Bächen aus dem blonden, lockigen Haar.
Die durchweichten Unterröcke fielen Rachel aus den plötzlich ganz kraftlosen Händen. Als sie den Reitknecht hoch zu Roß ge- sehen hatte, war ihr entgangen, wie groß er war und wie gut er
aussah. Der dünne Stoff seines triefnassen Hemdes klebte ihm am Leibe und modellierte die kraftvollen Muskeln seiner Arme, Schultern und Brust. Schockiert mußte Rachel feststellen, daß die nasse Kleidung die Formen seines Körpers genauso preisgab, als wäre er nackt.
Es wäre ein Gebot der Schicklichkeit gewesen, den Blick ab- zuwenden, doch Rachel schien keine Macht mehr über ihre Au- gen zu haben. Wie von einem eigenen Willen beseelt, wanderten sie an seinem prachtvollen Körper hinab zu der nassen Hose, die sich um seine schmalen Hüften schmiegte. Rachel hielt den Atem an. Dieser Mann war ein Kunstwerk! Wie eine Götterstatue des großen Michelangelo.
Seinem Äußeren nach hätte er selbst der Duke of Westleigh sein müssen, nicht sein Reitknecht! Rachel konnte den Blick einfach nicht von ihm abwenden. Ein sonderbares Gefühl beschlich sie. Dieser Mann ließ ihr Herz nicht nur schneller klopfen – er ließ es wahre Purzelbäume schlagen!
„Gefällt Ihnen, was Sie sehen?‚ fragte eine eisige Stimme, die vor Sarkasmus troff.
Ihr Blick flog hoch, und sie begegnete einem Paar blauer Augen, in denen kalte Wut loderte.
„Ich bin kein Zuchthengst, der zu Myladys zweifelhaftem Ver- gnügen vorgeführt wird!‚
Fanny, die neben Rachel stand, schnappte empört nach Luft. „Wie kann ein gemeiner Stallknecht sich erdreisten, in einem so rüden, unverschämten Ton mit Lady Rachel Wingate, der Schwe- ster des Earl of Arlington, zu sprechen!‚ fuhr sie den Mann an.
Er maß Fanny mit einem so verächtlichen Blick, daß sie erneut nach Luft schnappte. „Wie kann Lady Rachel sich erdreisten, mich auf so rüde, unverschämte Art zu mustern?‚ gab er zurück.
Er hat recht, dachte Rachel schuldbewußt. Sie hatte ihn wirk- lich auf höchst ungebührliche Art und Weise angestarrt. Sie spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit heiß wurden.
Um ihre Befangenheit zu verbergen, bückte sie sich und hob Maxi auf, der die ganze Zeit an ihr hochsprang. Sie senkte den Kopf und barg ihre brennenden Wangen in seinem seidigen Fell.
Der Gesichtsausdruck des gutaussehenden Reitknechts wurde noch abweisender.
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