Mars Live
sich und sah direkt in das leuchtende Auge der Monitor-Kamera-Kombination. »Wovon sprechen Sie, zum Teufel?«
»Ich spreche von der Mary Poppins.«
2
»Madame Kirow«, sagte der Kellner; es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Die blonde Frau in dem gelben Overall nickte, und der Kellner stellte die lächerliche Nachahmung eines Regency-Telefonmonitors mit Messingintarsien auf die gläserne Tischfläche und entfernte sich.
»Captain Kirow«, sagte ein dünnes Stimmchen auf englisch. »Bitte verzeihen Sie die Störung.« Natascha Kirow neigte sich nach vorn und blickte hinunter. Auf dem Drei-Zoll-Bildschirm war ein an einem Schreibtisch sitzender Mann zu sehen. Sein Gesicht war kleiner als ein Radierstift, aber sein Schreibtisch war gewaltig, von der Größe einer Streichholzschachtel. Jenseits des Fensters, an einem Hang hinter ihm, stand in riesigen Buchstaben HOL YWOOD, mit einem fehlenden L.
»Wer sind Sie, und was wollen Sie?« fragte Natascha Kirow, die nichts von dem Gebaren hielt, das die Amerikaner ›vorsichtig auf den Busch klopfen‹ nannten.
»Sagt Ihnen der Name Mary Poppins etwas?«
Natascha Kirow war keinen Wimpernschlag lang verunsichert. »Verwechseln Sie mich vielleicht mit Julie Andrews?«
»Können wir offen miteinander sprechen? Wie Sie wissen, ist die russisch-amerikanische Marsexpedition…«
»Das ist Geschichte des Altertums. Das Projekt wurde vor zwanzig Jahren abgeblasen, als die Große Depression zuschlug. Niemand war jemals auf dem Mars, und ich vermute, es wird auch nie jemand dorthin reisen.«
»Das Projekt wurde eingestellt, jawohl.« Der Mann senkte die Stimme dramatisch, während sein Bild auf dem Schirm zur Größe einer Walnuß anwuchs. »Doch erst, wie wir beide wissen, nachdem das Schiff bereits gebaut worden war. Stört es Sie, wenn ich rauche?«
Natascha Kirow schüttelte den Kopf, während sich der Anrufer eine Zigarre anzündete. »Wie nur wenige Hundert Leute auf der ganzen Welt wissen, befindet es sich zur Zeit in einem geheimen Orbit-Depot, vorübergehend eingemottet, wie behauptet wird, in Wirklichkeit aber längst endgültig abgeschrieben, wie Sie und ich wissen, denn es wird nun niemals mehr ein gemeinsames russisch-amerikanisches Projekt geben, und keins der beiden Länder wird dem anderen erlauben, es zu benutzen.«
»Science Fantasy, Mister… äh…«
»Markson. Meine Kollegen und ich sind anderer Ansicht. Wir wissen, um genau zu sein, daß sich die Mary Poppins im Orbit befindet, in diesem Augenblick 1988 Kilometer über Ihnen. Zusätzlich dazu, daß es hinter dem Nuklearabfallgürtel versteckt ist, wohin sich niemals jemand begeben wird, ist es geschützt durch eine Spezialfolie mit Nullreflektion, die ein Sechs-Milliarden-Dollar-Raumschiff, größer als die Queen Elizabeth, wie ein kleines Loch in der Ozonschicht aussehen läßt. Wir wissen, daß es mit Vorräten an Nahrung und Wasser ausgerüstet ist, die in zwanzig Jahren noch brauchbar, ja sogar schmackhaft sein werden.«
»Selbst wenn ein solches phildickianisches Hirngespinst wahr sein sollte«, sagte Natascha Kirow, »dann hat das nichts mit mir zu tun. Das liegt zwanzig Jahre zurück, und laut Ihren eigenen Zahlen war ich zum damaligen Zeitpunkt sechzehn.«
»Einundzwanzig«, berichtigte Markson, und zum erstenmal wurde Natascha Kirow rot. »Wir wissen, daß für dieses Projekt drei Einundzwanzigjährige ausgebildet wurden. Einer wurde später wahnsinnig; einer kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben; die dritte, die einzige Frau und dem Vernehmen nach die vielversprechendste von allen, heiratete nach der Einstellung des Projekts einen Arzt, lehrte an der Universität in Leningrad, trennte sich vor drei Jahre von ihrem Mann und…«
»Wurde geschieden«, ergänzte Natascha Kirow.
»Diese hypothetische Person fliegt jetzt für Sikorsky-Reebok Tupolews in die Antarktis und verbringt gegenwärtig einen Kurzurlaub in Salvador, Brasilien. Sie speist im hübschen Axe Bahia zu Mittag, mit Blick über die Bucht.«
Natascha Kirow sagte nichts.
»Sie trägt einen gelben Overall. Sie ist die einzige Person, der die Fähigkeit, und jetzt die Gelegenheit gegeben ist, die Mary Poppins zum Mars zu fliegen.«
Natascha Aljoscha Katerina Iwanowna Kirow faltete sorgfältig ihre Serviette zusammen und stand vom Tisch auf. Wie stets, wenn sie wütend war, sprach sie englisch mit texanischem Akzent. »Ihr habt vielleicht gottverdammte Nerven!« schimpfte sie. »Was bringt Sie und Ihre Kollegen,
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