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Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Entschwinden aller Phänomene. Die zweite beginnt, wenn demfana baqa folgt, die Beständigkeit. An dieser Stelle reist du ins Reale, durch das Reale und zu dem Realen, und bist selbst eine Realität, ein haqq. Und danach bewegst du dich weiter zum Zentrum des spirituellen Universums und wirst eins mit allen andern, die es ebenso gemacht haben.«
    »Ich schätze, ich habe noch nicht die erste Reise angetreten«, sagte John. »Ich weiß nichts.«
    Sie waren, wie er feststellte, über diese seine Antwort erfreut. Sie sagten zu ihm: »Du kannst starten«, und gossen ihm mehr Kaffee ein. »Du kannst immer den Anfang machen.« Sie waren so ermutigend und freundlich im Vergleich mit allen Arabern, die John früher getroffen hatte, daß er sich ihnen öffnete und von seiner Reise nach Pavonis und den Plänen für das große Liftkabel erzählte. Dhu sagte: »Keine Phantasie in der Welt ist völlig unwahr.« Und als John seine letzte Begegnung mit Arabern erwähnte auf Vastitas Borealis, und wie Frank sie begleitet hatte, sagte Dhu geheimnisvoll: »Die Liebe zum Rechten verlockt Menschen zum Falschen.«
    Eine der Frauen lachte und sagte: »Chalmers ist dein nafs.«
    »Was ist das?« fragte John.
    Sie lachten alle. Dhu sagte kopfschüttelnd: »Er ist nicht dein nafs. Nafs ist das böse Selbst eines Menschen, von dem manche glauben, daß es in der Brust lebe.«
    »Wie ein Organ oder so etwas?«
    »Wie eine wirkliche Kreatur. Muhammad ibn Uly an berichtete zum Beispiel, daß aus seiner Kehle etwas wie ein junger Fuchs gesprungen sei, der nur größer wurde, als er ihn trat. Das war sein nafs.«
    »Es ist ein anderer Name für deinen Schatten«, erklärte die Frau, die damit angefangen hatte.
    »Na schön«, sagte John. »Vielleicht ist er es also. Oder vielleicht ist es nur, daß Franks nafs einen kräftigen Tritt bekommen hat.« Und sie lachten mit ihm über diese Idee.
    Später an diesem Nachmittag drang die Sonne stärker durch den Dunst als gewöhnlich und erhellte die ziehenden Wolken so, daß die Karawanserei in der Kammer eines gigantischen Herzens zu ruhen schien, wobei die Windstöße rhythmisch den Takt angaben. Die Sufis riefen sich etwas zu, als sie durch die Lechatelieritfenster blickten, und legten rasch Schutzanzüge an, um in diese karmesinrote Welt hinauszugehen. Sie forderten Boone auf, sie zu begleiten. Er zog sich grinsend an und verschluckte heimlich dabei eine Omeg-T ablette.
    Draußen gingen sie rund um den zerklüfteten Rand der Mesa, blickten in die Wolken und auf die im Schatten liegende Ebene in der Tiefe und wiesen John auf alle Merkmale hin, die gerade sichtbar wurden. Danach sammelten sie sich bei der Karawanserei, und John hörte ihnen zu, wie sie feierlich sangen, wobei verschiedene Stimmen englische Übersetzungen für Arabisch und Farsi lieferten. »Besitze nichts und sei von nichts besessen. Entferne das, was du im Kopf hast, und gib, was du in deinem Herzen hast. Hier eine Welt und dort eine Welt. Wir sitzen auf der Schwelle.«
    Eine andere Stimme: »Liebe hat die Saite an der Laute meiner Seele angeschlagen und mich verändert, auf daß ich von Kopf bis Fuß liebe.«
    Und sie fingen an zu tanzen. John, der zusah, erkannte, daß sie tanzende Derwische waren. Sie hüpften in die Luft zum Schlag von Trommeln, die die allgemeine Musik übertönten. Sie sprangen und wirbelten in langsamen unirdischen Drehungen mit ausgestreckten Armen. Und wenn sie den Boden berührten, stießen sie sich ab und wiederholten es, eine Drehung nach der anderen. Tanzende Derwische in dem großen Sturm auf einer hohen runden Mesa, die in grauer Vorzeit der Boden eines Kraters gewesen war. In dem blutroten pulsierenden Licht sah das so wundervoll aus, daß John aufstand und anfing, sich mit ihnen zu drehen. Er störte ihre Symmetrien und stieß manchmal mit anderen Tänzern zusammen, aber das schien niemanden zu stören. Er fand, daß es hilfreich war, leicht gegen den Wind zu springen, um nicht außer Balance geblasen zu werden. Eine starke Bö würde einen glatt umstoßen. Er lachte. Einige Tänzer psalmodierten laut zur Musik in den üblichen Vierteltontremoli, akzentuiert durch Rufe und scharfes rhythmisches Atmen und die Phrase »Ana el-Haqq, ana el-Haqq« - Ich bin Gott, ich bin Gott. Eine sufische Blasphemie. Der Tanz sollte hypnotisierend wirken. John wußte, daß es andere Muslimkulte gab, die es mit Selbstgeißelung taten. Sich drehen war besser. Er tanzte und stimmte in den gemeinsamen Gesang ein, indem er ihn

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