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Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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mit seinem scharfen Atem und mit Grunzen und Plappern akzentuierte. Dann fing er an, ohne sich darüber Gedanken zu machen, in den Strom der Klänge die Namen für Mars einzufügen: »Al-Qahira, Ares, Auqakuh. Bahram, Harmakhis, Hrad, Huo Hsing, Kasei, Ma'adim, Maja, Mamers, Mangala, Nirgal, Shalbatanu, Simud und Tiu.« Er hatte diese Liste vor einigen Jahren auswendig gelernt als eine Art Partytrick. Jetzt war er ganz überrascht, was für eine hervorragende Rezitation sie abgab, wie sie aus seinem Mund strömte und ihm half, seine Drehungen zu stabilisieren. Die anderen Tänzer lachten ihn freundlich an. Es schien ihnen zu gefallen. Er fühlte sich berauscht. Sein ganzer Körper summte. Er wiederholte die Litanei noch oft und ging dann dazu über, den arabischen Namen ständig zu wiederholen: »Al- Qahira, Al-Qahira, Al-Qahira.« Und dann, eingedenk dessen, was ihm eine der übersetzenden Stimmen gesagt hatte: »Ana el-Haqq, ana Al-Qahira. Ana el-Haqq, ana Al-Qahira.« Ich bin Gott, ich bin Mars... Die anderen stimmten rasch in diesen Gesang ein und machten daraus ein wildes Lied. Im Aufblitzen rotierender Visierscheiben nahm er ihre grinsenden Gesichter wahr. Sie waren wirklich tüchtig in ihren Drehungen. Während sie herumwirbelten, schnitten ihre ausgestreckten Finger den Staubstrom zu Arabesken. Und dabei stießen sie ihn mit den Fingerspitzen an und führten ihn oder schoben sogar seine ungeschickten Drehungen in das Geflecht ihrer Rotationen. Er schrie die Namen des Planeten, und sie wiederholten sie danach wie bei einer Antiphone. Sie rezitierten die Namen - Arabisch, Sanskrit, Inka -, alle Namen des Mars, verquirlt in einen Brei aus Silben, so daß sie eine polyphone Musik erschufen, die schön und ergreifend zugleich war; denn die Namen für den Mars kamen aus Zeiten, als Wörter unheimlich klangen und Namen Macht besaßen. Er konnte das hören, wenn er sie sang. Ich werde tausend Jahre lang leben, dachte er.
    Als er endlich zu tanzen aufhörte und sich hinsetzte, um zuzuschauen, fing er an, sich unwohl zu fühlen. Die Welt verschwamm, in seinem Mittelohr drehte etwas sich offenbar immer noch wie eine Roulettekugel. Die Szene pulsierte vor ihm. Es war unmöglich zu sagen, ob das der wirbelnde Staub war oder etwas Inneres; aber jedenfalls starrte er auf das, was er sah: tanzende Derwische - auf dem Mars? Nun, in der muslimischen Welt waren sie irgendwie Abweichler und hatten einen ökumenischen Zug, der im Islam selten ist. Und sie waren auch Wissenschaftler. So stellten sie vielleicht seinen Weg zum Islam dar, seine tariqat. Und ihre Derwischzeremonien würden vielleicht in die Areophanie, die Erscheinung des Mars, übergehen wie während seiner Rezitation. Er stand taumelnd auf und verstand plötzlich, daß man nicht alles vom ersten Federstrich an erfinden mußte, sondern daß es darauf ankäme, etwas Neues zu schaffen durch eine Synthese von allem, was gut war, in das, was vorher gekommen war. »Liebe hat die Saite an der Laute meiner Seele angeschlagen...« Er war allzu benommen. Die anderen lachten und stützten ihn. Er sprach zu ihnen in seiner üblichen Weise in der Hoffnung, daß sie verstehen würden. »Ich fühle mich schlecht. Ich denke, ich werde mich übergeben. Aber ihr müßt mir sagen, warum wir nicht all das traurige Gepäck der Erde zurücklassen können. Warum können wir nicht zusammen eine neue Religion erfinden? Die Verehrung von Al-Qahira, Mangala, Kasei!«
    Sie lachten und trugen ihn auf den Schultern zurück zum Schutzbau. »Ich meine es ernst«, sagte er, während sich die Welt drehte. »Ich möchte, daß ihr es tut, ich möchte, daß euer Tanzen mit drin ist. Es ist klar, daß ihr diejenigen seid, um diese Religion zu schaffen. Ihr tut das bereits.« Aber es war gefährlich, sich in einem Helm zu übergeben; und so lachten sie nur und schafften ihn, so schnell sie konnten, in das Habitat aus Trümmergestein. Als ihm dort schlecht wurde, hielt ihm eine Frau den Kopf und sagte in musikalischem, orientalisch gefärbtem Englisch: »Der König hat seine weisen Männer nach etwas gefragt, das ihn glücklich machen würde, wenn er traurig wäre, aber traurig im Falle des Frohsinns. Sie berieten sich und kamen zurück mit einem Ring, auf dem eingraviert war: »>Auch dies wird vorübergehen.<«
    »Direkt in die Wiederverwertung«, sagte Boone. Er lag auf dem Rücken, und alles drehte sich. Das war ein schreckliches Gefühl, wenn er versuchte, still zu liegen. »Aber was willst du hier?

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