Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
breit. Die Flut füllte binnen Minuten diese ganze Weite aus und fing prompt an, gegen eine lange Schutthalde anzusteigen, die aus der Klippe unten im Canyon von ihnen wegführte. Die Oberfläche der Flut beruhigte sich, als sie sich vor diesem Damm aufstaute, und erstarrte vor ihren Augen zu einem klumpigen, schmutzigfarbenen Eis-Chaos, das seltsam ruhig war. Jetzt konnten sie einander hören, wenn sie das Knacken, Dröhnen und unablässige Getöse überbrüllten; aber es gab nichts zu sagen. Sie starrten nur bestürzt aus den niedrigen Fenstern oder aufs Fernsehen. Der Reifnebel von der Oberfläche der Flüssigkeit lichtete sich zu einem dünnen Dunst. Aber nicht mehr als fünfzehn Minuten später barst der Eis-See an seinem unteren Ende in einer großen Flutwelle aus schwarzem, dampfendem Wasser, die den Gerölldamm wegriß mit dem explosiven Dröhnen einer Gesteinslawine. Die Flut strömte weiter den Canyon hinunter. Ihr vorderes Ende war nicht mehr zu sehen, als sie sich von Ius nach Melas Chasma hineinergoß.
     
    Jetzt floß also ein Strom durch Valles Marineris, eine breite, dampfende, im Eis erstickende Flut. Ann hatte Videobänder von den Ausbrüchen im Norden gesehen, war aber noch nie dazu gekommen, einen persönlich zu erleben. Hier im Original fand sie es fast unvorstellbar. Die Landschaft selbst redete jetzt in einer Sprache des Wahnsinns. Das anfängliche Gebrüll erschütterte die Luft und ließ ihre Eingeweide erzittern wie ein Baß beim Zerreißen des Weltgefüges. Und es war auch ein visuelles Chaos, ein sinnloses Durcheinander, das sie nicht scharf erfassen konnte zur Unterscheidung von nah und fern, von vertikal und horizontal, von bewegt oder ruhig oder hell und dunkel. Sie verlor die Fähigkeit, ihren Sinnen zu trauen. Nur mit großer Schwierigkeit konnte sie ihre Gefährten im Wagen verstehen. Sie war nicht sicher, ob es an ihrem Gehör lag oder nicht. Sie konnte es nicht ertragen, Sax anzusehen, aber sie verstand Sax auch am wenigsten. Er versuchte, es ihr zu verheimlichen; aber es war klar, daß er erregt war über das, was geschah. Das ruhige Äußere hatte stets eine leidenschaftliche Natur verborgen. Das hatte sie immer gewußt. Jetzt war sein Gesicht stark gerötet wie im Fieber, und er sah ihr nie in die Augen. Sie wußte, daß er wußte, was sie empfand. Sie verabscheute seine drückebergerische Unfähigkeit einer Konfrontation mit ihr, selbst wenn sie aus einer gewissen Rücksicht ihr gegenüber entsprang. Und die Art, wie er immer am Bildschirm geschäftig blieb. Er schaute nie richtig aus den unteren Bodenfenstern des Rovers, um die Flut mit eigenen Augen zu sehen. Die Kameras bieten einen besseren Blick, pflegte er sanft zu sagen, wenn Michel ihn drängte hinzuschauen. Und nur eine halbe Stunde, nachdem er die erste Ankunft der Fluten auf den Fernsehern verfolgte hatte, war er zum Schirm seiner KI gegangen, um auszurechnen, was das für sein Projekt bedeuten könnte. Wasser strömte Ius hinunter, gefror, brach auf und strömte weiter, sicher bis nach Melas hinein. Würde sich dort genügend Wasser zusammenfinden, um bis Coprates zu fließen und dann hinab zu Capri und Eos und weiter in das Aureum Chaos... Das war auf den ersten Blick unwahrscheinlich; aber das Compton-Reservoir war groß gewesen, eines der größten, die man je gefunden hatte. Marineris verdankte seine Existenz sehr wahrscheinlich Ausbrüchen aus früheren Erscheinungen des gleichen Wasserdepots, und der Tharsis-Buckel hatte nie aufgehört, Gas auszuströmen.
    Sie fand sich auf dem Boden des Rovers liegend, wie sie die Flut beobachtete und zu verstehen suchte. Sie bemühte sich, im Kopf ihre Strömung zu berechnen, als eine Möglichkeit, sich besser auf das zu konzentrieren, was sie sah und es der Bedeutungslosigkeit zu entreißen, die sie zu überwältigen drohte. Wider Willen empfand sie die Faszination des Rechnens und der Aussicht und sogar der Flut selbst. So etwas hatte es auf dem Mars schon früher gegeben, vor Milliarden Jahren, und wahrscheinlich genau wie dies. Es gab allenthalben Spuren von verheerenden Überschwemmungen, Uferterrassen, lemniskatisch gekrümmten Inseln, Kanalbetten, Plateaulandschaften... Und alle die alten zerbrochenen Wasserdepots hatten sich wieder gefüllt aus der emporquellenden Tharsis und allem, was das an Wärme und Ausgasen zur Folge hatte. Es wäre langsam gewesen, aber bei zwei Milliarden Jahren ...
    Sie zwang sich, scharf zu sehen. Der Rand der Flut war etwa einen Kilometer

Weitere Kostenlose Bücher