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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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unschmackhaft wie je. Es war der ihm wie jedem anderen eingeprägte Geschmack. Bitter und sauer. Jetzt angenehm wegen der heraufbeschworenen Erinnerung. Vielleicht war er geheilt.
    Die Blätter flatterten in dem böigen Nordwind. Es roch nach Staub. Ein Schleier aus braunem Licht, der westliche Himmel messingfarben. Die Zweige reichten bis zu seiner doppelten oder dreifachen Körperhöhe. Die unteren Zweige senkten sich, so tief, daß sie sein Gesicht streiften. Menschlicher Maßstab. Der mediterrane Baum, der Baum der Griechen, die so vieles so deutlich gesehen hatten in seiner richtigen Proportion, alles maßstabsgerecht in einer Symmetrie dem menschlichen Maß angepaßt - die Bäume, die Städte, ihre ganze physische Welt, die felsigen Inseln der Ägäis, die steinigen Berge der Peloponnes, ein Universum, das man in ein paar Tagen durchwandern konnte. Vielleicht war die Heimat der Ort des menschliehen Maßstabs, wo immer er sich befand. Gewöhnlich in der Kindheit.
    Jeder Baum war wie ein Tier, das sein Gefieder in den Wind hielt und die wulstigen Beine in den Boden gestemmt hatte. Eine Bergflanke voller Gefieder zuckte unter dem Ansturm des Windes, seinen wechselnden Böen und Stößen und unerwarteter Stille. Das war die Provence, das Herz der Provence. Sein ganzes Unterbewußtsein schien bei jedem Moment seiner Kindheit zu verweilen, ein weites presque vu, das ihn erfüllte und überschäumte, ein Leben in einer Landschaft, die von ihrem Gewicht und ihrer Ausgeglichenheit brodelte. Er fühlte sich nicht mehr schwer. Das Himmelblau selbst war eine Stimme aus jener früheren Inkarnation und sagte: Provence, Provence.
    Draußen über der Schlucht schwirrte eine Schar schwarzer Krähen und schrie: Ka, ka, ka!
    Ka. Wer hatte diese Geschichte erfunden von dem kleinen roten Volk und dessen Namen für den Mars? Er wußte es nicht. Solche Geschichten haben keinen Anfang. Im mediterranen Altertum war Ka das überirdische Double eines Pharaos gewesen, das herabsteigend in Gestalt eines Falkens, einer Taube oder Krähe dargestellt wurde.
    Jetzt stieg der Ka des Mars zu ihm herab, hier in der Provence. Schwarze Krähen - auf dem Mars flogen unter den klaren Kuppeln die gleichen Vögel, ebenso sorglos und mächtig in den Böen der Belüftung wie im Mistral. Es kümmerte sie nicht, ob sie auf dem Mars waren. Er war für sie Heimat, ihre Welt ebenso wie jede andere; und die Menschen waren, was sie immer gewesen waren, gefährliche Bodentiere, die einen töten oder auf fremdartige Reisen mitnehmen würden. Aber kein Vogel auf dem Mars erinnerte sich an die Reise zwischen den Planeten. Nichts schlug die Brücke zwischen den zwei Welten außer dem menschliehen Geist. Die Vögel flogen einfach und suchten Futter und krächzten, auf der Erde oder dem Mars, wie sie es immer getan hatten und immer tun würden. Sie waren überall zu Hause, zogen ihre Kreise in den scharfen Windstößen, nahmen es mit dem Mistral auf und riefen einander zu: Mars, Mars, Mars! Michel Duval! - Sein Geist, der in zwei Welten zugleich daheim war oder verloren im Nirgendwo zwischen ihnen, war ruhelos. Die Noosphäre war so riesig. Wo war er, wer war er? Wie sollte er sein Leben führen?
    Olivenhain. Helle Sonne in einem messingfarbenen Himmel. Das Gewicht seines Körpers, der saure Geschmack im Mund. Er fühlte sich direkt im Boden verwurzelt. Dies war seine Heimat, dies und nichts anderes. Sie hatte sich verändert und würde sich dennoch niemals verändern - nicht dieser Hain, nicht er selbst. Endlich daheim. Er könnte zehntausend Jahre auf dem Mars leben, und immer würde dieser Ort seine Heimat bleiben.

W ieder im Hotelzimmer in Arles, rief er Maya an. »Bitte, Maya, komm her! Ich möchte, daß du das alles siehst.«
    »Michel, ich arbeite an der Übereinkunft. Der zwischen den UN und dem Mars, wenn du dich erinnerst.«
    »Ich weiß.«
    »Es ist wichtig.«
    »Ich weiß.«
    »Gut. Ich bin deswegen hierhergekommen, und ich bin ein Teil davon, mitten drin. Ich kann nicht einfach in Urlaub gehen.«
    »Okay, okay. Aber schau, diese Arbeit wird nie enden. Politik ist ein Faß ohne Boden. Du kannst einen Urlaub nehmen und danach wieder zurückkommen, und es wird immer noch laufen. Aber dies - dies ist meine Heimat, Maya. Ich will, daß du sie siehst. Möchtest du mir nicht Moskau zeigen und daß ich dorthin gehe.«
    »Nicht einmal, wenn es der letzte Ort über der Flut wäre.«
    Michel seufzte. »Nun, für mich ist das anders. Bitte, komm und sieh, was ich

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