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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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sein, noch einer jener Leute, deren unnatürlich langes Leben mehr logistische Probleme schuf als le fleuve blanc, wenn man bei der Wahrheit blieb...
    So war es besser. Er konnte in den kleinen Dörfern um Vallabrix Station machen, wie Saint Quentinla-Poterie oder Saint Victor-des-Quies oder Saint Hippolyte-de-Montaigu, und mit den Ladeninhabern schwatzen, die genau so aussahen wie die, welche die Läden betrieben hatten, als er damals ausgewandert war, und wahrscheinlich deren Nachkommen waren oder manche vielleicht sogar noch die gleichen Leute. Sie sprachen ein anderes dauerhafteres Französisch, ohne sich um ihn zu kümmern, absorbiert von ihren eigenen Gesprächen und ihrem eigenen Leben. Genauso war es draußen in den engen Straßen, wo viele Leute wie Zigeuner aussahen. Ohne Zweifel afrikanisches Blut, das sich in der Bevölkerung verbreitete, wie schon seit dem Einfall der Sarazenen vor tausend Jahren. Die jungen Frauen waren schön. Sie strömten in Scharen durch die Straßen, ihre schwarzen Kleider waren im Staub des Mistrals immer noch glänzend und schimmernd. Das waren seine Dörfer gewesen. Staubige Plastikschilder, alles etwas heruntergekommen und verfallen...
    Er schwankte zwischen Vertrautheit und Entfremdung, Erinnerung und Vergessen. Aber immer einsamer. In einem Cafe bestellte er Cassis und erinnerte sich beim ersten Schluck, daß er in dem gleichen Cafe gesessen hatte, an dem gleichen Tisch. Eve gegenüber. Proust hatte völlig recht, wenn er den Geschmack als wichtigsten Auslöser unfreiwilliger Erinnerung identifizierte; denn die Langzeiterinnerungen eines Menschen steckten oder waren mindestens organisiert in der Mandel, genau unter dem Teil des Gehirns, der mit Geschmack und Geruch zu tun hatte. Darum waren Gerüche eng mit Erinnerungen verknüpft, genau wie mit dem emotionalen Netz des limbischen Systems, weil es sich durch beide Gebiete wand. Daher die neurologische Sequenz, daß Geruch Erinnerung auslöste und dieses Heimweh. Heimweh oder Nostalgie, das schmerzliche Verlangen eines Menschen nach seiner Vergangenheit, nicht weil sie so schön gewesen war, sondern einfach, weil sie gewesen und jetzt dahingegangen war. Er erinnerte sich an Eves Gesicht, wie sie in diesem voll besetzten Raum ihm gegenüber plauderte. Aber nicht, was sie gesagt hatte, oder warum sie dort waren, fiel ihm ein. Natürlich nicht. Einfach ein isolierter Augenblick, ein Kaktusstachel, eine Momentaufnahme, alles wie von einem Blitzschlag erhellt und dann verschwunden. Ohne den Rest davon zu kennen, so sehr er sich auch zu erinnern bemühte. Und sie waren alle so, seine Erinnerungen, das, was Erinnerungen waren, wenn sie älter wurden: Blitze im Dunkeln, unzusammenhängend, fast sinnlos und dennoch manchmal voll eines vagen Schmerzes.
    Er stolperte aus dem Cafe, von seiner Erinnerung zu seinem Wagen, und fuhr durch Vallabrix unter den großen Platanen von Grand Planas heim, hinaus zu dem verfallenen Mas, ganz ohne nachzudenken. Und er ging wieder hilflos hin, als ob das Haus wieder lebendig geworden wäre. Aber es war immer noch die gleiche staubige Ruine am Olivenhain. Er setzte sich fassungslos auf die Mauer.
    Jener Michel Duval von damals war verschwunden. Auch dieser hier würde verschwinden. Er würde noch mehrere Inkarnationen durchleben und diesen Moment vergessen, sogar diesen scharfen schmerzhaften Moment, als er gerade begonnen hatte, alle Momente zu vergessen, die sich hier zugetragen hatten. Blitze, Bilder, ein Mann, der auf einer zerbrochenen Mauer sitzt, ohne daß Gefühle mitspielen. Das war alles. Auch dieser Michel würde verschwinden.
    Die Olivenbäume schwenkten ihre Arme, graugrün, grün-grau. Lebt wohl, lebt wohl! Sie waren diesmal keine Hilfe, sie gaben ihm keine euphorische Verbindung mit verlorener Zeit. Auch dieser Moment gehörte bereits der Vergangenheit an.
    In dem flackernden Graugrün fuhr er nach Arles zurück. Der Pförtner in der Lobby des Hotels sagte, daß der Mistral wohl nie aufhören würde. »O doch«, erklärte Michel im Vorbeigehen.
    Er ging nach oben in sein Zimmer und rief Maya an. Er sagte: »Bitte, komm bald!« Es ärgerte ihn, daß sie sich so bitten ließ. Bald, sagte sie immer wieder. Noch ein paar Tage, und sie würden eine erste Übereinkunft festgelegt haben, eine Übereinkunft bonafide zwischen den UN und einer unabhängigen Regierung des Mars. Geschichte im Entstehen. Danach würde sie sehen, ob sie käme.
    Michel war das Entstehen der Geschichte egal. Er ging in

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