Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
eindrucksvollste aller Meereslandschaften zu bilden.
Über all dieses Wasser flogen täglich große Vogelschwärme. Wolken entfalteten sich in der Luft und wurden vom Wind dahingetrieben, wobei sie das Weiß und Rot unter sich mit ihren Schatten befleckten. Eisberge flössen über die geschmolzenen Meere und prallten an ferne Küsten. Stürme wüteten von der Großen Böschung mit entsetzlicher Kraft herunter und trafen den Fels mit Hagel und Blitz. Es gab auf dem Mars jetzt annähernd vierzigtausend Kilometer Küste. Und durch den schnellen Wechsel von Frost und Tau in den Nächten und Jahreszeiten und unter dem ständigen Ansturm des Windes wurde jedes Stück davon lebendig.
A ls der Kongreß endete, machte Nadia Pläne, Pavonis Mons sofort zu verlassen. Sie war der eigenen Streitereien in dem Lagerhaus überdrüssig, der Diskussionen, der Politik. Ihr war übel von der Gewalt und den Drohungen; übel von Revolution, Sabotage, der Verfassung, der Aufzugdiskussion, der Erde und dem drohenden Krieg. Erde und Tod - das war Pavonis Mons, Pfauenberg, wobei alle Pfauen sich aufspielten und brüsteten und Ich Ich Ich schrien. Das war der letzte Ort auf dem Mars, wo Nadia sein mochte.
Sie wollte vom Berg runter und die freie Luft atmen. Sie wollte an handfesten Dingen arbeiten. Sie wollte mit ihren neun Fingern, ihrem Rücken und ihrem Geist alles und jedes bauen, nicht bloß die Strukturen entwerfen, obwohl diese natürlich auch schön sein konnten; aber Dinge wie Luft oder Dreck, Teile eines für sie neuen Bauvorhabens, das einfach Terraformen an sich war, interessierten sie jetzt. Seit ihrem ersten Spaziergang in der freien Luft unten beim DuMartheray-Krater, frei von allem außer einer kleinen Maske mit Kohlendioxidfilter, war ihr Saxens Besessenheit sinnvoll erschienen. Sie war bereit, sich mit ihm zusammenzutun und den übrigen in diesem Projekt - und jetzt, da die Beseitigung der orbitalen Spiegel einen langen Winter ausgelöst hatte und mit einer komplette Eiszeit drohte, mehr denn je. Luft bauen, Dreck bauen, Wasser bewegen, Pflanzen und Tiere einführen. Diese Art von Arbeit klang jetzt faszinierend für sie. Und natürlich lockten auch die konventionelleren Bauvorhaben. Wenn das neue Nordmeer schmolz und seine Küstenlinie stabilisiert war, mußten überall Hafenstädte angelegt werden, wahrscheinlich dutzendweise, jede mit Kais, Kanälen, Werften und Docks. Und die Städte dahinter würden in die Berge aufsteigen. In größeren Höhen müßten mehr Kuppelstädte und überdachte Canyons gebaut werden. Man sprach sogar davon, einige der großen Calderas abzudecken und Seilbahnen zwischen den drei Prinzvulkanen verkehren zu lassen oder die Engen südlich von Elysium zu überbrücken. Man sprach davon, den polaren Inselkontinent zu besiedeln. Es gab neue Konzepte für Biohäuser, Wohnungen und Gebäude direkt aus manipulierten Bäumen wachsen zu lassen, so wie Hiroko Bambus benutzt hatte, aber in größerem Maßstab. Ja, ein Baumeister, der bereit war mehr von den neuesten Techniken kennenzulernen, hatte tausend Jahre verlockender Projekte vor sich. Es war ein Traum, der sich verwirklicht hatte.
Dann kam eine kleine Gruppe zu ihr und sagte, sie erkundeten Möglichkeiten für den ersten Exekutivrat der neuen globalen Regierung.
Nadia starrte die Leute an. Sie erkannte deren Bedeutung als große Falle in Zeitlupe und versuchte ihr Bestes, um zu entrinnen, ehe sie zuschnappte. Sie sagte: »Es gibt viele Möglichkeiten. Ungefähr zehnmal so viele gute Leute als Ratsposten.«
»Ja«, sagten sie nachdenklich. »Aber wir haben überlegt, ob du jemals daran gedacht hast...«
»Nein«, erklärte sie.
Art grinste und merkte, daß sie ärgerlich wurde. »Ich plane zu bauen.«
»Das könntest du auch machen«, sagte Art. »Der Rat ist eine Teilzeitarbeit.«
»Zum Teufel damit!«
»Nein, es stimmt.«
Es stimmte, daß das Konzept der Bürgerregierung überall in die neue Verfassung aufgenommen worden war, von der globalen Legislatur über die Gerichtshöfe bis zu den Kuppeln. Die Leute würden vermutlich einen großen Teil dieser Arbeit in Teilzeit leisten. Aber Nadia war sich ganz sicher, daß der Exekutivrat nicht in diese Kategorie gehören würde. »Müssen die Mitglieder des Exekutivrates nicht aus der Legislatur gewählt werden?« fragte sie.
»Durch die Legislatur«, sagten sie ihr fröhlich. Gewöhnlich wurden Kollegen aus der Gesetzgebung gewählt, aber nicht notwendigerweise. Nadia sagte: »Nun,
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