Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Polarinsel hinzog - die einzige Unterbrechung in dem die Welt umspannenden Ozean. Eine große Siedlung auf diesem flachen Land, namens Boone's Neck, war halb überkuppelt und halb offen. Ihre Bewohner waren damit beschäftigt, einen Kanal durch die Halbinsel zu schneiden.
Eine Boe trieb ihn nach Norden, und Nirgal folgte ihr. Der Wind summte, fauchte und biß. An manchen Tagen kreischte er. Im Meer lagen zu beiden Seiten der langen, niedrigen Halbinsel Eisschollen. Hohe Berge aus Jade-Eis brachen durch diese weißen Schelfe. Da oben lebte niemand; aber Nirgal war ohnehin nicht mehr auf der Suche. Er hatte nahe der Verzweiflung aufgegeben und schwebte einfach dahin und ließ sich vom Wind treiben wie der Samen eines Löwenzahns. Über das weiße, zerrissene Eismeer, über freies purpurnes Wasser; gesäumt von im Sonnenlicht strahlenden Wellen. Die Halbinsel verbreitete sich zur Pol-Insel, einem weißen buckligen Landfleck im Eis des Meeres. Kein Anzeichen von den urtümlichen Wirbelmustern der Schmelztäler. Diese Welt war dahin.
Dann über die andere Seite der Welt und des Nordmeeres, über die Orcas-Insel auf der Ostflanke von Elysium und wieder hinab über Cimmeria. Schwebend wie ein Same. An manchen Tagen wurde die Welt schwarz und weiß. Auf dem Meer Eisberge in der Sonne, Tundraschwäne vor schwarzen Klippen, schwarze Lummen, die über das Eis flogen, Schneegänse. Den ganzen Tag nichts anderes.
Unablässiges Wandern. Er flog zwei- oder dreimal in die nördlichen Teile der Welt, schaute auf das Land und das Eis hinunter, registrierte alle Veränderungen, die stattfanden, und alle kleinen Siedlungen, die sich in ihre Zelte kuschelten oder im Freien den kalten Winden trotzten. Aber aller Blick in die Welt konnte seinen Kummer nicht vertreiben.
Eines Tages kam er zu einer neuen Hafenstadt am Eingang des langen schmalen Fjords von Marwth Vallis und traf dort seine Krippengefährten aus Zygote, Rachel und Tiu, an. Nirgal umarmte sie und betrachtete während eines Dinners und danach mit Freude ihre ach so vertrauten Gesichter. Hiroko war fort, aber seine Brüder und Schwestern waren geblieben, und das war schon etwas. Ein Beweis dafür, daß seine Kindheit real war. Und trotz all der Jahre sahen sie genau so aus wie damals, als sie Kinder gewesen waren. Es gab keinen echten Unterschied. Rachel und er waren befreundet gewesen. Sie hatte mit ihm in den frühen Jahren einen Flirt gehabt, und sie hatten sich in den Bädern geküßt. Er erinnerte sich mit leichtem Zittern an eine Zeit, wo sie ihn auf ein Ohr geküßt hatte und Jackie auf das andere. Und obwohl er es fast vergessen hatte, hatte er seine Unschuld eines Nachmittags in den Bädern mit Rachel verloren, kurz bevor Jackie ihn zu den Dünen am Teich herausgeführt hatte. Ja, eines Nachmittags, fast zufällig, als ihre Küsserei plötzlich drängend und erforschend geworden war, und sich ihre Körper ohne Willen bewegt hatten.
Jetzt betrachtete sie ihn freundlich und zugetan, eine Frau in seinem Alter, deren Gesicht wie eine Karte von den Linien ihres Lachens gezeichnet war, heiter und stolz. Vielleicht erinnerte sie sich auch nur ebenso wenig wie er an ihre erste Begegnung. Schwer zu sagen, an was sich seine Geschwister aus ihrer gemeinsamen bizarren Kindheit erinnerten. Jetzt sah sie aber aus, als ob sie sich erinnerte. Sie war immer lieb gewesen und war es auch jetzt. Er erzählte ihr von seinen Flügen um die Welt, getragen von den ständigen Winden, und vom langsamen Hinabsinken gegen den Auftrieb des Luftschiffs zu einer kleinen Siedlung nach der anderen auf der Suche nach Hiroko.
Rachel schüttelte den Kopf und lächelte ironisch. »Wenn sie hier draußen ist, dann ist sie eben hier draußen. Aber du könntest ewig suchen und würdest sie niemals finden.«
Nirgal stieß einen bekümmerten Seufzer aus, und sie lachte und zauste ihm das Haar.
»Such nicht nach ihr!«
An diesem Abend ging er am Strand spazieren, knapp oberhalb der verwüsteten, mit Eisbrocken übersäten Küstenlinie des Nordmeeres. Er hatte die körperliche Empfindung, gehen und laufen zu müssen. Fliegen war so einfach; es war eine Trennung von der Welt. Die Dinge wurden wieder klein und fern. Es war das falsche Ende des Teleskops. Er mußte wieder gehen.
Dennoch flog er. Immerhin sah er sich beim Fliegen das Land näher an. Heide, ein Moor am Flußufer. Ein Bach, der über eine kleine Stufe direkt ins Meer stürzte, und ein anderer, der einen Strand überquerte. An manchen
Weitere Kostenlose Bücher