Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
Sax tausend Wetterjahre, veränderte Variable in dem Modell; und jedesmal raste ein völlig anderes Jahrtausend vorbei. Faszinierend. Die geringe Schwerkraft und die daraus resultierende Skalenhöhe der Atmosphäre, die Präsenz des Nordmeeres, das zufrieren konnte oder nicht, die zunehmende Luftdichte, der Zyklus von Perihel und Aphel, deren Exzentrizität langsamer Präzession durch die Jahreszeiten der Inklination unterlag - all dies hatte vielleicht vorhersagbare Effekte; aber in Kombination machten sie das Wetter des Mars sehr schwer zu verstehen. Und je mehr Versuche Sax machte, desto klarer wurde ihm, wie wenig sie wußten. Aber es war faszinierend; und er wurde nicht müde, den ganzen Tag das Spiel der Iterationen verfolgen.
     
    Oder aber er saß einfach auf Simshai Point und sah zu, wie die Wolken über einen hyazinthfarbenen Himmel flogen. Kasei Fjord im Nordwesten war ein Windkanal für die stärksten katabatischen Winde des Planeten. Sie ergossen sich aus ihm auf den Chryse-Golf mit Geschwindigkeiten, die gelegentlich 500 Kilometer in der Stunde erreichten. Bevor diese Howler zuschlugen, konnte Sax über dem nördlichen Horizont die zimtfarbenen Wolken erkennen, die Vorboten. Zehn oder zwölf Stunden später wälzten sich vom Norden große Wogen heran und schlugen gegen die Meeresklippen, fünfzig Meter hohe Keile aus Wasser, das gegen den Fels sprühte, bis die ganze Luft über der Halbinsel ein dicker weißer Nebel war. Es war gefährlich, während eines Howlers auf See zu sein. Einmal, als er die Küstengewässer des südlichen Golfs in einem kleinen Katamaran erforschte, hatte er das zweifelhafte Vergnügen, mitten in einen hineinzugeraten.
    Weit schöner war es, die Stürme von den Meeresklippen aus zu beobachten. Heute kein Howler, nur ein gleichmäßiger steifer Wind, und in der Ferne auf dem Wasser nördlich von Copernicus der schwarze Besen eines Gewitters, gepaart mit der Wärme der Sonne auf der Haut. Die globale Durchschnittstemperatur änderte sich jedes Jahr, rauf und runter, meistens rauf. Mit der Zeit als horizontaler Achse ergab das eine aufsteigende Gebirgskette. Das denkwürdige Jahr ohne Sommer war inzwischen Geschichte. Tatsächlich hatte es drei Jahre gedauert, aber die Leute wollten deswegen nicht den Namen ändern. Drei ungewöhnlich kalte Jahre - nein! Möglicherweise handelte es sich um eine Art Kompression der bei den Leuten unerwünschten Wahrheit. Symbolisches Denken. Die Menschen mußten Dinge miteinander verbinden. Sax wußte das, weil er viel Zeit in Sabishii mit Besuchen bei Michel und Maya verbracht hatte. Diese beiden liebten das Drama. Maya vielleicht mehr als die meisten, aber es lohnte sich, hinzuschauen. Ein Grenzfall von Demonstration der Norm. Sax machte sich Sorgen über Mayas Wirkung auf Michel. Michel schien nicht besonders fröhlich zu sein. Nostalgie - aus dem griechischen nostos, Heimkehr und algos, Schmerz. Also: Heimweh. Ein sehr treffender Ausdruck. Trotz ihrer Fehler konnten Worte manchmal sehr exakt sein. Das erschien als ein Paradoxon, bis man sich in die Funktion des Gehirns vertiefte. Dann wurde es weniger überraschend. Ein Modell der Wechselwirkung des Gehirns mit der physischen Realität, an den Rändern verschwommen. Selbst die Wissenschaft war gezwungen, das zugeben. Was nicht heißen sollte, den Versuch aufzugeben, Dinge zu erklären!
    »Komm mit raus, und mach ein paar Feldstudien mit mir!« drängte er Michel.
    »Bald.«
    »Konzentriere dich auf den Augenblick!« schlug Sax vor. »Jeder Moment hat seine eigene Realität. Sein besonderes Sosein. Du kannst keine Voraussagen treffen, aber du kannst erklären. Oder es versuchen. Wenn du aufpaßt und Glück hast, kannst du sagen, dies ist der Grund, weshalb das geschieht! Das ist sehr interessant.«
    »Sax, wann bist du denn zum Dichter geworden?«
    Sax wußte darauf nicht zu antworten. Michel war immer noch von seiner immensen Nostalgie gebläht. Schließlich sagte Sax: »Nimm dir Zeit, mit nach draußen zu gehen!«
     
    In den milden Wintern, wenn die Winde sanft waren, machte Sax Schiffsausflüge um das Südende des Chryse-Golfs. Des goldenen Golfs. Den Rest des Jahres blieb er auf der Halbinsel und machte vom Da-Vinci-Krater aus Spaziergänge zu Fuß oder Touren mit einem kleinen Wagen, bei denen er über Nacht blieb. Meistens betrieb er Meteorologie, obwohl er sich natürlich um alles kümmerte. Auf dem Wasser konnte er dasitzen und den Wind im Segel spüren, wenn er von einer Krümmung der

Weitere Kostenlose Bücher