Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
Küste zur anderen steuerte. War er auf dem Landweg unterwegs, fuhr er morgens los und freute sich an der Aussicht, bis er eine gute Stelle fand. Dann pflegte er den Wagen anzuhalten und nach draußen zu gehen.
    Hosen, Hemd, Windjacke, Bergstiefel, sein alter Hut waren alles, was er an diesem Tag des m-Jahres 65 brauchte. Ein Umstand, der ihn noch immer erstaunte. Gewöhnlich war das um die Zeit von 280s. Die globalen Mittelwerte stiegen um die Mitte von 270s stark an. Ein guter Durchschnitt empfand er - über dem Gefrierpunkt - und schickte einen thermischen Stoß in die seit Ewigkeiten gefrorene Wildnis. Dieser Stoß würde in rund zehntausend Jahren den Permafrost schmelzen. Aber natürlich blieb es nicht allein dabei.
    Er wanderte über Tundramoos und Meerfenchel, Kedge und Gras. Leben auf dem Mars. Das war schon eine seltsame Sache. Tatsächlich überall Leben. Es war keineswegs klar, warum es erscheinen sollte. Sax dachte immer häufiger darüber nach. Warum nahm die Ordnung in irgendeinem Teil des Kosmos zu, wenn sonst überall nur Entropie zu erwarten war? Das verwirrte ihn sehr. Er war fasziniert, als Spencer eines Abends beim Bier an der Corniche von Odessa eine Stegreiferklärung gegeben hatte. Der hatte gesagt, in einem expandierenden Universum wäre Ordnung eigentlich nicht Ordnung, sondern bloß die Differenz zwischen aktuell dargebotener Entropie und der maximal möglichen Entropie. Diese Differenz sei das, was die Menschen als Ordnung wahrnähmen. Sax war überrascht, von Spencer eine so interessante kosmologische Theorie zu hören. Aber Spencer war ein Mann der Überraschungen. Dem tat auch sein überhöhter Alkoholkonsum keinen Abbruch.
    Legte man sich ins Gras und betrachtete die Tundrablumen, konnte man nicht umhin, über das Leben nachzudenken. Im Licht der Sonne standen die kleinen Blüten auf ihren Stielen und leuchteten farbenprächtig. Ideogramme der Ordnung. Sie sahen nicht bloß nach einer Differenz im entropischen Niveau aus. Ein Blütenblatt hatte eine so feine Textur; von Licht getränkt schien fast jedes Molekül sichtbar zu sein: hier ein weißes, dort ein lavendelfarbenes und da ein clematisblaues. Diese pointillistischen Flecken waren natürlich keine Moleküle, die ja deutlich unter dem menschlichen visuellen Auflösungsvermögen lagen. Und selbst wenn Moleküle erkennbar gewesen wären, so waren die letzten Bausteine des Blütenblatts doch noch soviel kleiner, daß man sich das kaum vorstellen konnte. Sozusagen noch kleiner, als selbst die Einbildungskraft reichte. Obwohl unlängst die Arbeitsgruppe für Theorien in Da Vinci sich um Entwicklungen in der Superstringtheorie und Quantengravitation bemühte, waren sie bis zum Punkt nachprüfbarer Vorhersagen gekommen, der sich historisch als die große Schwäche der Stringtheorie erwiesen hatte. Verlockt durch diese Verbindung mit dem Experiment hatte Sax in letzter Zeit zu verstehen versucht, was sie da machten. Das bedeutete Verzicht auf Küstenspaziergänge zugunsten von Seminarräumen. Aber das hatte er in den regnerischen Jahreszeiten hinter sich gebracht, an den Nachmittagssitzungen teilgenommen, sich die Vorträge und anschließenden Diskussionen angehört, die hingekritzelte Mathematik auf den Bildschirmen studiert und die Morgenstunden mit Arbeiten über Riemannsche Flächen, Liesche Algebra, Eulersche Zahlen, die Topologie kompakter dreidimensionaler Räume, Differentialgeometrie, Graßmannsche Variable, Vlads Notoperatoren und alle übrige Mathematik, die erforderlich war, um dem zu folgen, worüber die jetzige Generation sprach, verbracht.
    Mit einigen Punkten der Mathematik über Superstrings hatte er sich schon früher beschäftigt. Die Theorie gab es jetzt seit fast zwei Jahrhunderten; sie war aber spekulativ schon viel früher ins Gespräch gebracht worden, als es weder die Mathematik noch die experimentelle Möglichkeit gab, sie richtig zu erforschen. Diese Theorie beschrieb die kleinsten Partikel der Raumzeit nicht als geometrische Punkte, sondern als ultramikroskopische Schleifen, die in zehn Dimensionen schwingen, von denen sechs um die Schleifen kompakt sind und diese zu etwas exotischen mathematischen Gebilden machen. Der Raum, in dem sie schwingen, war von Theoretikern des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu Schleifenmustern, genannt Spin-Netze, quantifiziert worden, in denen Kraftlinien im feinsten Korn des Gravitationsfeldes irgendwie ähnlich wirkten wie die magnetischen Kraftlinien um einen Magneten, so daß

Weitere Kostenlose Bücher