Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Augenbrauen, lange Nase und kleiner Mund. Intelligente scharfe braune Augen. Es war seltsam, wieviel man allein in den Gesichtern lesen konnte. Maya bekam allmählich den Eindruck, daß sie auf den ersten Blick alles Wesentliche über eine Person wüßte. Das war eine nützliche Fähigkeit, wenn man bedachte, daß so viel von dem, was die jungen Eingeborenen in diesen Tagen sagten, sie verwirrte. Sie brauchte diese erste Erkenntnis.
Die Grünheit allerdings verstand sie, oder glaubte sie zu verstehen. Das war eigentlich ein archaischer politischer Ausdruck, könnte man meinen, da der Mars jetzt völlig grün war - grün und blau. »Was wünschst du?«
Vendana sagte: »Jackie Boone und der Freie Mars stelle A i Kandidaten für Ämter aus diesem Gebiet auf und reisen als Wahlkämpfer für die bevorstehenden Wahlen umher. Wenn Jackie wieder die Parteiführung bekommt und wieder Mitglied des Exekutivrates wird, wird sie weiter an dem Plan des Freien Mars arbeiten, um jede weitere Einwanderung von der Erde zu unterbinden. Das ist ihre Idee, und sie treibt sie stark voran. Sie behauptet, daß alle terranischen Emigranten anderswohin im Sonnensystem umgeleitet werden könnten. Das stimmt zwar nicht, ist aber eine Haltung, die an gewissen Stellen sehr gut ankommt.
Den Terranern gefällt das natürlich nicht. Falls der Freie Mars bei einem isolationistischen Programm große Gewinne erzielt, nehmen wir an, daß die Erde sehr übel reagieren wird. Die Erdbewohner haben jetzt schon Probleme, die sie kaum bewältigen können. Sie benötigen das wenige von uns, das wir ihnen geben können. Und sie werden es als einen Bruch des Vertrags bezeichnen, den ihr abgeschlossen habt. Sie könnten es deswegen sogar bis zum Krieg treiben.«
Maya nickte. Sie hatte seit Jahren eine zunehmende Spannung zwischen Erde und Mars gefühlt - ungeachtet Michels Versicherungen. Sie hatte gewußt, daß das kommen würde. Sie hatte es vorausgesehen.
»Jackie hat viele Gruppen hinter sich stehen, und der Freie Mars hat jetzt seit Jahren eine überwältigende Mehrheit in der globalen Regierung. Sie haben inzwischen die Umwelthöfe gewonnen. Diese Höfe werden sie bei jedem Einwanderungsverbot decken, das sie vorschlagen könnte. Wir aber wollen die Politik beibehalten, die durch den Vertrag festgelegt ist, den ihr ausgehandelt habt, oder die Immigrationsquoten sogar noch etwas erhöhen, um der Erde soviel zu helfen, wie wir können. Aber Jackie läßt sich schwer aufhalten. Um dir die Wahrheit zu sagen, wir wissen nicht recht, wie. Darum dachte ich daran, dich zu fragen.«
Maya war überrascht. »Wie man sie aufhalten kann?«
»Ja. Oder ganz allgemein, dich zu bitten, uns zu helfen. Ich denke, man wird sie persönlich aufs Korn nehmen müssen.«
Und sie wandte den Kopf, um Maya mit einem wissenden Lächeln anzusehen.
In dem ironischen Lächeln, das diesen klassischen kleinen Mund mit seinen vollen Lippen anhob, lag etwas vage Vertrautes, etwas, das, obwohl offensiv, dem großäugigen Enthusiasmus der jungen Historiker weit vorzuziehen war, die Michel belästigten. Und als Maya darüber nachdachte, sah die Aufforderung immer besser aus. Es war zeitgenössische Politik, eine Beschäftigung mit der Gegenwart. Die Trivialität der aktuellen Szene sagte ihr gewöhnlich nicht zu; aber jetzt hatte sie den Eindruck, daß die Politik des Augenblicks immer unbedeutend und stupide aussah; erst später gewann sie das Aussehen respektabler Staatskunst und geschichtlicher Größe. Und dieses Thema konnte wichtig werden, wie die junge Frau gesagt hatte. Und natürlich würde alles (ohne daß ihr das klar bewußt war), was man Jackie in den Weg legen konnte, seine eigene Befriedigung bieten. »Erzähl mir mehr darüber!« sagte Maya und bewegte sich auf dem Balkon außer Hörweite der anderen. Und die junge Frau folgte ihr.
M ichel hatte sich immer gewünscht, eine Fahrt auf dem Großen Kanal zu unternehmen; und kürzlich hatte er Maya zugeredet, einen Umzug von Sabishii wieder nach Odessa zu versuchen, als eine Möglichkeit, gegen ihre mannigfachen mentalen Leiden anzukämpfen. Sie könnten sogar ein Apartment in dem gleichen Komplex nehmen, in dem sie vor der Zweiten Revolution gewohnt hatten. Das war der einzige Ort, den Maya außer Underhill, das auch nur zu besuchen sie sich weigerte, als Heimat betrachtete. Und Michel hatte den Eindruck, daß es ihr helfen könnte, in irgendeine Heimat zurückzukehren. Also Odessa. Maya war einverstanden, es machte ihr
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