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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Qual.
    Seine ganze Haut begann sofort am ganzen Körper gleichzeitig zu jucken. Woher kam das bloß? Rückkehr der Empfindung zu unterkühlten Nerven? Was auch immer es war - es schmerzte fast unerträglich. »Au!«
    Trotzdem war er in bester Stimmung. Nicht nur, daß er eben dem Tod entronnen war; das war ganz nett. Aber daß Hiroko lebte! Das war eine unglaublich gute Nachricht. Viele seiner Freunde waren schon seit langem der festen Überzeugung, daß sie und ihre Gruppe vor dem Angriff auf Sabishii geflohen waren und sich durch das Labyrinth des Berges in ihr System verborgener Schlupfwinkel zurückgezogen hatten. Sax war sich nie sicher gewesen. Es gab nichts, das diese Theorie stützte. Und in den Sicherheitskräften gab es Elemente, die durchaus fähig waren, eine Gruppe von Dissidenten zu ermorden und sich ihrer Leichen zu entledigen. Aber er hatte diese Meinung für sich behalten und sich kein Urteil gebildet. Er konnte sich einfach nicht sicher sein.
    Aber jetzt wußte er Bescheid. Er war Hiroko in den Weg geraten, und sie hatte ihn vor dem Tod durch Erfrieren gerettet oder Ersticken, je nachdem, was zuerst gekommen wäre. Der Anblick ihres fröhlichen und irgendwie unpersönlichen Gesichts, ihrer braunen Augen, das Gefühl ihres Körpers, der ihn stützte, ihre über sein Handgelenk geklammerte Hand... Er würde davon einen blauen Fleck bekommen. Vielleicht sogar eine Zerrung. Er bog die Hand und von dem Schmerz tränten ihm die Augen. Das brachte ihn zum Lachen. Hiroko!
    Nach einiger Zeit ließ das brennende Gefühl auf seiner Haut nach. Obwohl sich seine Hände geschwollen und roh anfühlten und er keine richtige Kontrolle über seine Muskeln hatte, kam er im Grunde auf einen normalen Zustand zurück. Oder einen ungefähr normalen.
    »Sax! Sax! Wo bist du? Antworte uns, Sax!«
    »Ah, hallo! Ich bin wieder in meinem Wagen.«
    »Hast du ihn gefunden? Hast du deine Schneehöhle verlassen?«
    »Ja. Ich sah in der Ferne meinen Wagen durch eine Lücke im Schnee.«
    Sie waren froh, das zu hören.
    Er saß da und hörte kaum ihrem Geschwätz zu und fragte sich, warum er spontan gelogen hatte. Irgendwie war ihm nicht wohl, über Hiroko zu sprechen. Er nahm an, daß sie versteckt bleiben wollte. Vielleicht war es das. Ihr Deckung zu geben...
    Er versicherte seinen Genossen, daß es ihm gut gehe, und schaltete die Verbindung ab. Er zog einen Stuhl in die Küche und setzte sich darauf. Er wärmte Suppe und trank mit heftigem Schlürfen, weil er sich sofort die Zunge verbrannt hatte. Vom Frost angegriffen, verbrüht, wackelig, leicht schwindlig, plötzlich weinend, höchst verdutzt... trotz alledem war er sehr, sehr glücklich. Natürlich ernüchtert durch den Anruf und verwirrt oder sogar beschämt durch seine Dummheit, draußen geblieben zu sein und sich verirrt zu haben und das alles. Das war alles sehr ernüchternd; und dennoch war er glücklich. Er hatte überlebt und noch besser: Hiroko auch. Das bedeutete ohne Zweifel, daß ihre ganze Gruppe mit ihr überlebt hatte und auch das halbe Dutzend der Ersten Hundert, das von Anfang an mit ihr gewesen war: Iwao, Gene, Rya, Raul, Ellen, Evgenia... Sax ließ ein Bad ein und setzte sich in das warme Wasser. Er füllte langsam heißeres Wasser nach, als sich das Innere seines Körpers erwärmte. Und er kehrte zu dieser wundervollen Erkenntnis zurück. Ein Wunder - natürlich kein Wunder -, aber es hatte dieselbe Qualität unerwarteter und unverdienter Freude.
    Als er merkte, daß er im Bad einzuschlafen drohte, trocknete er sich ab und hinkte auf empfindlichen Füßen zum Bett, kroch unter die Decke und fiel mit den Gedanken an Hiroko in tiefen Schlaf. Er träumte von Liebesspielen mit ihr in den Bädern von Zygote, von dem warmen, entspannten Luxus ihrer Stelldicheins im Badehaus, spät in der Nacht, wenn alle anderen schliefen. Von ihrer um sein Handgelenk geklammerten Hand, die ihn hochzog. Seine linke Hand tat ziemlich weh. Und das machte ihn glücklich.
     

A m nächsten Tag fuhr er zurück den großen Südhang von Arsia hinauf, der jetzt erstaunlich hoch mit sauberem weißen Schnee bedeckt war - um genau zu sein, 10,4 Kilometer über dem Bezugspunkt. Er empfand eine seltsame Mischung von Emotionen, wie er sie in ihrer Stärke und Dichte noch nie erlebt hatte, obwohl sie irgendwie den starken Gefühlen ähnelten, die er nach seinem Nervenschlag erlebt hatte, so als ob Sektionen seines Gehirns aktiv wüchsen. Vielleicht das limbische System, der Sitz der Emotionen,

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