Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
gezackte weiße Wand lief von Horizont zu Horizont wie eine der großen Böschungen auf dem Mars, nur schneebedeckt, allein die dreieckigen Nordhänge mit aperem Fels von hellgrauer Farbe lagen frei, so ganz anders als irgend etwas auf dem Mars. Granit. Granitberge, durch tektonische Kollision aufgerichtet. Und die Heftigkeit dieser Entstehung war deutlich.
Zwischen dieser majestätisch weißen Bergkette und Bern lag eine Anzahl niedrigerer Gebirgsketten, die Grasalpen, ähnlich den Grünflächen in Trinidad. Nur war das Grün der Nadelbäume dunkler. So viel Grün! Wieder war Nirgal erstaunt, wie vollständig die Erde mit pflanzlichem Leben bedeckt war und die Lithosphäre unter einer dicken alten Decke von Biosphäre steckte. »Ja«, sagte Michel, der eines Tagen mit ihm zusammen die Aussicht genoß. »Die Biosphäre hat hier sogar einen großen Teil der oberen Gesteinsschicht gebildet. Überall wimmelt es von Leben. Es wimmelt.«
Michel wollte liebend gern in die Provence reisen. Sie waren schon in ihrer Nähe, eine Flugstunde oder eine Nacht mit der Eisenbahn. Und alles, was sich in Bern abspielte, kam Michel nur wie das übliche endlose Gerangel der Politik vor. »Flut oder Revolution oder die Sonne, welche zur Nova wird - das wird immer so weitergehen! Du und Sax, ihr könnt euch damit beschäftigen und besser als ich das tun, was nötig ist.«
»Und Maya erst recht.«
»Nun ja. Aber ich will, daß sie mit mir kommt. Sie muß das sehen, sonst wird sie es nicht verstehen.«
Aber Maya war in den Verhandlungen mit den UN voll beschäftigt, die jetzt ernst wurden, da die Marsianer daheim die neue Verfassung angenommen hatten. Die UN erwiesen sich immer noch sehr als ein Sprachrohr der Metanats, so wie der Weltgerichtshof weiterhin die neuen > kooperativen Demokratien unterstützte. Darum waren die Debatten in den verschiedenen Versammlungsräumen energisch, munter und bisweilen feindlich - mit einem Wort: wichtig. Und Maya zog jeden Tag in die Schlacht. Für die Provence-Pläne ihrer Mitstreiter hatte sie kein Ohr. Sie hatte in ihrer Jugend Südfrankreich besucht, wie sie sagte, und war nicht sehr daran interessiert, es wiederzusehen, selbst mit Michel. Michel beklagte sich: »Sie sagt, die Strände sind alle dahin. Als ob die Strände das Wichtigste an der Provence wären!«
Auf jeden Fall wollte sie nicht gehen. Endlich, nachdem ein paar Wochen vergangen waren, gab Michel achselzuckend auf und beschloß, allein in die Provence zu fahren.
Am Tag seiner Abreise begleitete Nirgal ihn zum Bahnhof am Ende der Hauptstraße und stand winkend an dem langsam beschleunigenden Zug, der die Station verließ. Im letzten Moment steckte Michel den Kopf aus einem Fenster und winkte mit mächtigem Grinsen zurück. Nirgal war über diese noch nie dagewesene Äußerung schockiert, die so rasch an die Stelle der Enttäuschung über Mayas Fehlen getreten war. Dann freute er sich für seinen Freund und wurde sogar etwas neidisch. Es gab keinen Ort, den aufzusuchen ihn so glücklich machen würde, nirgends auf den zwei Welten.
Nachdem der Zug verschwunden war, ging Nirgal auf der Kramgasse inmitten der üblichen Traube von Begleitern und Augen der Medien zurück. Er zerrte seinen zweieinhalbfachen Körper, das Monster, hinauf und schaute nach Süden zum Berner Oberland. Er verbrachte dort eine Menge Zeit. Manchmal verzichtete er auf die Meetings am frühen Nachmittag und ließ Sax und Maya sich darum kümmern. Die Schweizer betrieben die Angelegenheiten in ihrer gewohnten geschäftsmäßigen Art. Die Meetings hatten Tagesordnungen und begannen pünktlich; und wenn sie mit der Tagesordnung nicht fertig wurden, so lag das nicht an den Schweizern im Raum. Sie waren genau wie die Schweizer auf dem Mars, wie Jürgen, Max, Priska und Sibilla mit ihrem Ordnungssinn, mit gut ausgeführter angemessener Handlungsweise und mit unsentimentaler Liebe für Komfort bei vorhersehbarer Schicklichkeit. Das war eine Haltung, über die Cojote lachte, oder die er als lebensbedrohend ablehnte. Aber Nirgal, der die Ergebnisse in der eleganten steinernen Stadt unter sich sah, die von Blumen überströmte und von Menschen, denen es ebenso gut ging wie den Blumen, dachte, es spräche doch manches dafür. Er war so lange heimatlos gewesen. Michel hatte seine Provence, bei der er Zuflucht suchen konnte. Aber für Nirgal gab es keinen beständigen Ort. Seine Heimatstadt lag zerschmettert unter einer Polkappe, seine Mutter war spurlos verschwunden, und
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