Mars
hatten der japanische Geochemiker und der russische Kosmonaut die Mars 2 verlassen, um mit der Vor-Ort-Untersuchung von Deimos zu beginnen.
»Fünf Minuten bis zum Bodenkontakt«, sagte Tolbukhin in sein Helmmikrofon. »Ich entsichere den Penetrator.« Das war ein raketengetriebener Greifhaken, der sich in Deimos’ zernarbte Oberfläche graben und die beiden Männer fest verankern sollte. Wenn sie sich nicht auf diese Weise anseilten, konnten die Forscher bei jedem Schritt, den sie taten, von dem winzigen Mond abheben, so gering war dessen Schwerkraft.
Konoye sagte immer noch nichts. Sein Blick war nicht mehr auf die dunklen Umrisse von Deimos gerichtet, die sich vor ihnen abzeichneten. Statt dessen starrte er den riesigen roten Planeten an, der ü ber ihnen hing. Er konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Die beiden Männer hatten die Mars 2 eine Stunde zuvor in Druckanzügen verlassen. Mit den Metallrohrkonstruktionen der Raumschlitten, die ihre Körper umgaben, sahen sie wie bunte, dicke Roboter aus, die in Klettergerüsten steckten. Die Raumschlitten enthielten persönliche Ausrüstung, Lebenserhaltungssysteme sowie die Schubaggregate und Treibstoffe, mit denen sie von dem Raumschiff in der Umlaufbahn zu dem Marsmond fliegen konnten, der nach dem griechischen Wort für Schrecken benannt war.
Die mit einem Raumseil miteinander verbundenen, langsam um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreisenden Mars 1 und Mars 2 sahen wie Miniaturraumschiffe aus, weiß und lautlos, leblos und schrecklich weit entfernt.
Für Konoye war Deimos ein häßlicher, unregelmäßiger, von Kratern zernarbter dunkelgrauer Steinklumpen, der die Sterne auslöschte und den halben Himmel einnahm. Riesenhaft. Bedrohlich. Und der Mars selbst wirkte furchteinflößend groß, erdrückend massiv. Aus Konoyes Perspektive ragte der immens große und schwere Rote Planet über ihm auf, leuchtete zornig über seinem Kopf, lastete auf ihm, preßte ihm die Luft aus den Lungen. Die drei gewaltigen Vulkane des Tharsis-Buckels und die noch größere Caldera von Olympus Mons schienen wie die vier monströs großen runden Augen eines Dämons mit bösem Blick auf ihn herabzustarren.
Der japanische Geochemiker hatte ü ber drei Jahre f ü r diesen Augenblick trainiert. Er hatte auf der Erde s ä mtliche Simulationen absolviert und lange Wochen in der Schwerelosigkeit an Bord der Raumstationen in der Erdumlaufbahn verbracht. Er hatte sich gr ü ndlich darauf vorbereitet, die Vor-Ort-Untersuchung der beiden Marsmonde zu leiten. Ein russischer Geologe und ein amerikanischer Geophysiker warteten darauf, da ß sie nach ihm an die Reihe kamen. Aber momentan war Japan vorn.
Konoye hatte jedoch nicht mit diesem ungeheuren roten Ding gerechnet, das wie eine m ä chtige, greifbare Kraft ü ber ihm aufragte. Das war keine Simulation. Der Mars hing ü ber ihm, und er sp ü rte, wie er sich auf ihn herabsenkte, w ä hrend sein viel ä ugiger D ä mon ihn zornig und fordernd anstarrte. Etwas aus seiner Kindheit erwachte und begann zu schreien. Ein l ä ngst vergessener Alptraum zerrte an seinem Geist. Er mu ß te fliehen. Nichts wie weg von hier!
Blindlings feuerte Konoye die Schubaggregate seines Exkursionsger ä ts ab. Voller Panik fl ü chtete er vor der ü berw ä ltigenden Pr ä senz des Mars.
» Warten Sie! « rief Tolbukhin. » Was tun Sie? «
Konoye flog weg vom Mars, weg von Deimos, weg von dem Raumschiff, in dem er seit ü ber neun Monaten lebte. Er schlo ß die behandschuhten H ä nde fest um die Steuerung der Schubaggregate, wie ein Katatoniker oder ein Mann, der bereits von der Totenstarre befallen ist.
» Halt! « br ü llte Tolbukhin, der vor Aufregung in Russisch verfiel. » Sie Narr, Sie werden sich noch umbringen! «
Aber Konoye floh, von Panik erfüllt, unfähig zu sprechen. Der Kosmonaut aktivierte seine eigenen Schubaggregate und flog ihm nach, obwohl in seinem Helmkopfhörer ein Feuerwerk hektischer Befehle des Teams in der Mars 2 explodierte, das ihre Exkursion überwachte.
Unter der unbarmherzigen Hand der blinden Natur war Konoye zu einem winzigen Asteroiden geworden. Bei vollem Schub erschöpfte sich der Treibstoff in seinen Tanks rasch. Im reibungslosen Vakuum des Weltraums flog er immer weiter in dieselbe Richtung, geradewegs hinaus in die endlose Leere zwischen den Welten.
Tolbukhin konnte ihn nicht einholen. Innerhalb von ein paar Sekunden machte sich sein Training geltend – unterstützt von den wilden Rufen des Überwachungsteams in
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