Mars
roten Planeten postierten Fernerkundungsbaken aufgezeichnet wurden: Luftdichte, Temperatur, Windgeschwindigkeit und Windrichtung, Feuchtigkeitsgehalt, sogar die chemische Zusammensetzung der Luft.
Es war dumm von mir, dachte Toshima, nicht zu erkennen, daß die Feuchtigkeit im Tithonium Chasma sogar im Hochsommer zur Nebelbildung ausreichen würde. Er betrachtete dieses Versäumnis als seinen ureigensten Fehler. Es war bekannt, daß der Boden des Canyons zwei bis drei Kilometer unterhalb der Ebenen um sie herum liegt. Ich wußte von den Sonden, daß die Luftdichte dort unten etwas höher ist als anderswo. Natürlich muß die Luft etwas wärmer sein und mehr Feuchtigkeit aufnehmen können. Ich hätte das voraussehen müssen. Ich hätte es vorhersagen müssen.
Er hielt sich jedoch nicht lange mit den Fehlern der Vergangenheit auf. Sein größter Monitor, der direkt vor dem Stuhl stand, auf dem er saß, zeigte sein Meisterstück: eine äußerst detaillierte Wetterkarte des gesamten Planeten. Toshima hatte sämtliche hereinkommenden Daten zusammengefaßt und die Hochs und Tiefs, die zyklonalen Störungen und Windströmungsmuster auf dem ganzen Mars eingezeichnet. Mit einem Tastendruck konnte er das Wetter so darstellen, wie es gestern oder vor zwei Wochen gewesen war, aber auch so, wie es seiner Vorhersage zufolge morgen sein würde – oder in zwei Wochen.
Die l ä ngerfristigeren Vorhersagen waren nat ü rlich nicht so hieb- und stichfest wie die Vierundzwanzig-Stunden-Vorhersage. Selbst auf einer in meteorologischer Hinsicht so langweiligen Welt wie dem Mars, auf der keine Meere und nur wenig Feuchtigkeit die Wettermuster komplizierten, war es schwierig, Vorhersagen ü ber einen Zeitraum von achtundvierzig Stunden hinaus zu treffen. Aber er lernte dazu, gewann an Weitblick und dehnte die Reichweite seiner Vorhersagen immer weiter aus.
Er rieb sich die pochenden Schl ä fen, w ä hrend er seine Wetterkarte eingehend betrachtete. Die wirbelnden Staubst ü rme in den n ö rdlichen Breiten faszinierten ihn. In Gang gebracht von der Energie, die von der schmelzenden Polarkappe in die Atmosph ä re entlassen wurde, erschienen und verschwanden sie wie Gespenster. Bisher noch unberechenbar. Toshima wu ß te, da ß solche St ü rme im Fr ü hling miteinander verschmelzen, sich zu einem einzigen gigantischen Sturm vereinigen konnten, der wochenlang den gesamten Planeten verh ü llte.
Er bef ü rchtete nicht, da ß diese kleinen St ü rme das tun w ü rden. Was ihm Sorgen bereitete, war die Kaltfront, die in s ü dlicher Richtung ü ber die weite Ebene von Chryse Planitia vordrang.
F ü r marsianische Wettersysteme enthielt diese Kaltfront betr ä chtliche Energie. Die mitt ä glichen H ö chsttemperaturen s ü dlich der Front lagen noch bei etwa f ü nfundzwanzig Grad Celsius. Auf der anderen Seite der Front lagen sie selbst zur Mittagszeit unter dem Gefrierpunkt. Die Front w ü rde w ä hrend der Nacht ü ber das ö stliche Ende des Grand-Canyon-Komplexes hinwegziehen. Waterman und die anderen waren ü ber tausend Kilometer westlich von dort, aber Toshima machte sich trotzdem Sorgen um sie.
Er verstand nicht, weshalb er sich Sorgen machte.
Dem Rover drohte keine Gefahr vom Wetter. Die vier M ä nner und Frauen waren auf n ä chtliche Tiefsttemperaturen von bis zu hundert Grad unter Null vorbereitet. Warum also sollte ein Temperaturabfall von drei ß ig Grad besorgniserregend sein?
Toshima merkte, wie ihn ein innerliches Zittern packte, fast wie ein sexueller Drang. Da war etwas in den Daten vor seinen Augen, etwas Wichtiges, was er nicht erkannte. Er wu ß te es. Er f ü hlte es innerlich. Sein Unterbewu ß tsein versuchte, ihm etwas zu sagen, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken – eine Enth ü llung, eine wichtige Entdeckung. Er bi ß sich auf die Lippe und kniff die Augen zusammen, konzentrierte sich mit aller Kraft. Vergeblich.
In seinem Kopf pulsierte ein dumpfer Schmerz. Er massierte sich erneut die Schl ä fen, dann den Nacken.
Als er die Augen wieder ö ffnete, holte er tief Luft und versuchte, die Anspannung zu lindern, die die Sehnen in seinem Nacken zusammenzog und seine Schultern verkrampfte. Er drehte sich langsam auf seinem knarrenden Stuhl und musterte die Bildschirme einen nach dem anderen. Die Information ist hier, vor meinen Augen. Das wu ß te er. Aber es gelang ihm nicht, mit seinem Verstand zu erfassen, was sein Inneres ihm zu sagen versuchte.
Entspann dich, sagte die l ä ngst vergessene
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