Mars
sich eisenhart anf ü hlte.
Li nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Er schwieg einen langen Moment und sah Jamie aufmerksam an, als wollte er in ihn hineinschauen. Jamie erwiderte den Blick gelassen. Er hatte oft genug zugesehen, wie sein Gro ß vater sich mit anderen Navajos unterhielt; sie hatten es nie eilig damit, etwas zu sagen. Es war wichtig, sich Zeit zu lassen, um nachzudenken, zu ü berlegen und den anderen einzusch ä tzen.
Jamie musterte Lis Gesicht. Sein Haar waren immer noch dunkel, doch es war an seiner hohen, gew ö lbten Stirn schon merklich zur ü ckwichen. Unverkennbar orientalische Augen, verhangen, unergr ü ndlich; zusammen mit dem herabh ä ngenden Schurrbart verliehen sie ihm das Aussehen eines uralten chinesischen Weisen oder vielleicht auch des Schurken in einem altmodischen Abenteuerkrimi. Er h ä tte ein langes Seidengewand tragen und in einem Palast in Beijing leben sollen, statt im Schnee am Arsch der Welt festzusitzen.
In dem winzigen Raum hing ein leicht s üß licher Geruch in der Luft. R ä ucherst ä bchen? K ö lnischwasser? Es roch fast wie Marihuana.
» Ich mu ß Sie um einen Gefallen bitten « , sagte Dr. Li schlie ß lich. Er hatte die Stimme fast zu einem Fl ü stern gesenkt. Jamie merkte, da ß er sich ein wenig vorbeugte, um Lis Worte ü ber das unabl ä ssige Zischen der Luft hinweg zu h ö ren, die durch die Heizungsrohre str ö mte.
Mit einem beinahe verstohlenen Blick auf den orangefarbenen Bildschirm des Computers auf seinem Schreibtisch fuhr Li fort: » Sie haben hier sehr gute Arbeit geleistet – und bei Ihren anderen Trainingsaktivit ä ten ebenfalls. «
» Danke. « Jamie verneigte sich leicht.
» Ich w üß te gern, was Sie davon halten w ü rden, weitere sechs Wochen zu bleiben. «
» Zu bleiben? Hier? «
» Die Gruppe, mit der Sie gearbeitet haben, soll als n ä chstes nach Utah gehen, glaube ich. « Ein weiterer Blick auf den Computerbildschirm. » Ja, Ü berlebenstraining in der hochgelegenen W ü ste. «
Bevor Jamie etwas erwidern konnte, f ü gte Li hinzu: » Ich w ü rde es zu sch ä tzen wissen, wenn Sie hier in McMurdo bleiben und der n ä chsten Gruppe helfen w ü rden, sich an die arktische Umgebung zu akklimatisieren. Es w ä re mir und Ihren Wissenschaftlerkollegen eine au ß erordentliche Hilfe. «
Jamies Gedanken rasten. Er ist gerade zum Expeditionskommandanten ernannt worden. Es w ä re nicht klug, ihm seinen Wunsch abzuschlagen. Aber warum bittet er mich darum? Warum gerade mich?
»Ä h … wir zehn haben weitgehend als Einheit trainiert, wissen Sie. «
» Das ist mir durchaus bewu ß t « , sagte Dr. Li. » Aber Ihnen ist doch sicherlich klar, da ß die zu Trainingszwecken zusammengestellten Gruppierungen nicht mit den Teams identisch sein werden, die man f ü r den Flug selbst ausw ä hlen wird. «
Jamie nickte. Er fragte sich, was hier vorging, und warum.
» Zu der Gruppe, die als n ä chste hier eintreffen wird, geh ö rt Doktor Joanna Brumado. Sie ist eine ausgezeichnete Mikrobiologin. «
» Ich habe sie bereits kennengelernt. «
Li nickte langsam. Dann sagte er ganz leise: » Die Tochter von Alberto Brumado. «
Jamie lehnte sich in seinem Stuhl zur ü ck. Jetzt verstand er. Auf Alberto Brumados Tochter w ü rde besonderes Augenmerk gerichtet sein. Die anderen Wissenschaftler mu ß ten selbst sehen, wie sie zurechtkamen; entweder sie ü berstanden das harte Training, oder sie wurden von der Liste der potentiellen Mitglieder des Marsteams gestrichen. Aber bei Brumados Tochter lagen die Dinge anders. Sie wollen sichergehen, da ß sie ihre sechs Wochen hier schaffte, ohne die Brocken hinzuschmei ß en.
Weil er nicht wu ß te, was er sonst tun sollte, sagte Jamie: » Ich verstehe. Okay, in Ordnung. Ich bleibe die n ä chsten sechs Wochen hier und helfe der Gruppe, so gut ich kann. «
Dr. Li l ä chelte, aber sein L ä cheln wirkte auf Jamie eher traurig als fr ö hlich. » Vielen Dank, Doktor Waterman. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar. «
Jamie stand auf. Dr. Li streckte ihm die Hand hin und w ü nschte ihm alles Gute.
Erst als er den Flur auf dem R ü ckweg zu seinem Quartier schon halb durchquert hatte, begriff Jamie, was Lis Bitte bedeutete. Er w ü rde die n ä chsten sechs Trainingswochen vers ä umen. Er wurde gebeten, als spezieller Lehrer-F ü hrer-Begleiter f ü r Alberto Brumados Tochter zu fungieren.
Sie hatten ihn schon aus dem Aufgebot f ü r die Marsmission gestrichen. Er war zum Ausbilder degradiert
Weitere Kostenlose Bücher