Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
ist ein Jahr geblieben, aber zwischendurch häufig nach Algerien gefahren. 1994 ist er zurückgekommen, nachdem er auf einem algerischen Kommissariat einen Messerstich abgekriegt hatte. Seit einiger Zeit stand sein Name an der Spitze der Abschussliste. Sein Haus wurde rund um die Uhr von der Armee bewacht. Als er nach Frankreich kam, hat er mit einem Touristenvisum zunächst in Li lle dann in Paris gelebt. Schließlich kümmerten sich Komitees zur Unter - stützung intellektueller Algerier in Marseille um ihn.«
»Und dort hat er Adrien Fabre kennen gelernt.«
»Sie waren sich schon 1990 auf einem Kolloquium über Marseille begegnet.«
»Stimmt. Er hat in der Zeitung daraufhingewiesen.«
»Die beiden mochten sich. Fabre unterstützt seit Jahren die Liga für Menschenrechte. Das muss geholfen haben.«
»Ich wusste gar nicht, dass er politisch tätig ist.«
»Nur in Menschenrechtsfragen. Andere politische Aktivitäten sind bei ihm nicht bekannt. Er hat sich nie für etwas eingesetzt. Außer 1968. Da war er an der Bewegung des 22. März beteiligt. Wahr - scheinlich hat er ein paar Pflastersteine auf die Flic s geworfen. Wie alle guten Studenten damals.«
Ich sah ihn an. Loubet hatte Jura studiert. Er hatte davon geträumt, Rechtsanwalt zu werden. Dann war er Polizist geworden. »Ich habe genommen, was in der Verwaltung am meisten einbringt«, hatte er einmal gescherzt. Aber das hatte ich ihm nicht abgenommen.
»Bist du auch auf die Barrikaden gegangen?«
»Ich bin vor allem mit vielen Mädchen ins Bett gegangen«, sagte er lächelnd. »Und du?«
»Hab nie studiert.«
»Wo warst du 68?«
»In Dschibuti. In der Armee ... Das war sowieso nichts für uns.«
»Du meinst für dich, Ugo und Manu?«
»Ich meine, es gibt keine leibhaftige Revolution, auf die man als gutes Beispiel mit dem Finger zeigen kann. Wir wussten nicht viel, aber das wussten wir. Unter den Pflastersteinen hat noch nie der Strand gelegen. Sondern Macht. Die Radikalsten enden immer in der Regierung und finden Geschmack daran. Macht korrumpiert nur Idealisten. Wir waren kleine Gauner. Wir liebten schnelles Geld, Mädchen und Autos. Wir hörten Coltrane und lasen Gedichte. Und wir s chwammen quer durch den Hafen, S paß und Knete. Mehr ver - langten wir nicht vom Leben. Wir schadeten niemandem, und es ging uns gut.«
»Und dann bist du Polizist geworden.«
»Ich wollte diesen Weg gehen. Ich habe daran geglaubt. Und ich bereue nichts. Aber du weißt ... Ich hatte nicht die richtige Einstel - lung.«
Wir schwiegen, bis Ange den Kaffee brachte. Die beiden Ras-taköpfe hatten sich auf die Terrasse gesetzt und sahen José bei den letzten Handgriffen seiner Autowäsche zu. Als sei er ein Marsmensch, aber trotzdem mit einem Hauch von Bewunderung. Der Straßenarbeiter schaute auf die Uhr: »He! José! Ich hab Feierabend«, rief er und trank aus. »Werd dir den Hahn abdrehen müssen, mein Freund.«
»Hier lässt es sich leben«, sagte Loubet und streckte die Beine aus.
Er zündete sich einen Zigarillo an und sog den Rauch genussvoll ein. Ich mochte Loubet. Er war nicht einfach, aber bei ihm gab es keine faulen Tricks. Außerdem aß er mit Begeisterung, und das war für mich lebensnotwendig. Leuten, die wenig und egal was essen, traue ich nicht. Ich brannte vor Neugier, ihn über Cue auszufragen. Herauszubekommen, was er wusste. Aber ich tat nichts dergleichen. Loubet eine Frage zu stellen, war, wie einen Boomerang zu werfen ‒ sie fiel immer auf dich zurück.
»Du warst noch nicht fertig mit Fabre.«
»Puh ... Aus bürgerlicher Familie. Er hat klein angefangen. Heute ist er einer der angesehensten Architekten, nicht nur in Marseille, sondern an der ganzen Küste. Besonders im Var. Ein großes Büro. Er ist Spezialist für Großbaustellen. Für Privatleute, aber auch für den Staat. Viele Abgeordnete wenden sich an ihn.«
Was er mir dann über Cue erzählte, sagte mir nichts. Was wollte ich noch wissen? Einzelheiten in erster Linie. Nur, damit ich mir eine genauere Vorstellung machen konnte. Ein neutrales Bild. Ohne Gefühlsduselei. Ich hatte während der ganzen Mahlzeit ununter - brochen an sie gedacht. Es gefiel mir gar nicht, so unter ihrem E infl uss zu stehen.
»Eine schöne Frau«, stellte Loubet fest. Dann sah er mich mit einem Lächeln an, das nichts Unschuldiges hatte. War es möglich, dass er schon von unserer Begegnung wusste?
»Ah, ja«, antwortete ich ausweichend.
Er lächelte wieder und sah auf die Uhr. Dann drückte er seinen
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