Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Kind und ich sind zurückgekehrt. Meine Mutter war sehr mutig. Wir waren, was man Repatriierte nennt, verstehen Sie. Meine Familie war seit 1930 eingebürgert. Ich habe übrigens die doppelte Staatsbürgerschaft. Wir waren praktisch Franzosen. Aber unsere Ankunft in Frankreich hatte nichts Idyllisches. Vom Flug - hafen Charles de Gaulle in Roissy brachte man uns in ein Arbeiter - wohnheim in Sarcelles. Dann warf man uns raus, und wir landeten in Le Havre.
Dort haben wir vier Jahre in einer kleinen Zweizimmerwohnung gelebt. Meine Mutter hat sich um uns gekümmert, bis wir allein zurechtkamen. In Le Havre habe ich Adrien kennen gelernt. Ein Zufall. Ohne ihn ... Ich bin im Modegeschäft, wissen Sie. Ich entwerfe orientalisch inspirierte Kollektionen und Stoffe. Die Werk - statt und das Geschäft sind am Cours Julien. Und vor kurzem habe ich eine Boutique in Paris eröffnet, in der Rue de la Roquette. Und bald eine in London.«
Bei den letzten Worten hatte sie sich aufgerichtet.
Mode war in Marseille der letzte Schrei. Die vorherige Stadtver - waltung hatte einen Riesenhaufen Geld für ein Zentrum mit mediterraner Mode an der Canebière verpulvert. In den ehemaligen Räumen des Kaufhauses Thierry. Das »Centre Pompidou der Haute Couture«. So hatten die Zeitungen es genannt. Ich war einmal aus Neugier hingegangen. Weil ich mir nicht vorstellen konnte, was da vor sich geht. In Wirklichkeit passiert dort gar nichts. Aber, so hatte man mir erklärt, »in Paris gibt das ein besseres Bild von uns«.
Wirklich lächerlich! Ich gehörte zu jener Sorte Marseiller, die sich einen Dreck darum scheren, was für ein Bild man sich in Paris oder sonstwo von uns macht. Das Bild hat nichts zu sagen. Für Europa sind wir immer noch die erste Stadt der Dritten Welt.
Das Wichtigste war meiner Meinung nach, etwas für Marseille z u tun. Nicht, um in Paris Eindruck zu schinden. Alles, was wir gewonnen haben, haben wir immer gegen Paris gewonnen. Dafür stand die alte Marseiller Bourgeoisie, die Frassinets, Touaches und Paquets. Die Familien, die, wie Ange mir erzählt hatte, 1870 Garibaldis Feldzug nach Marseille finanzierten, um die preußische Invasion zurückzuschlagen. Aber heute begehrte diese Bourgeoisie nicht mehr auf, nahm keinen Einfluss mehr. Sie dämmerte in ihren Luxusvillen in Roucas Blanc vor sich hin. Gleichgültig gegenüber Europas Plänen für die Stadt.
»Ah«, antwortete ich ausweichend. Cue, die Geschäftsfrau. Das löste den Zauber, der von ihr ausging. Auf jeden Fall brachte es uns zurück auf den Boden der Tatsachen.
»Denken Sie nicht, ich sei Anfängerin. Nur zwei Jahre. Ich hatte einen guten Start, bin aber noch nicht so weit wie Zazza von Marseille.«
Zazza kannte ich. Auch sie hatte sich in die Modebranche gestürzt. Ihre handgefertigte Konfektionskleidung erlangte allmählich Welt - ruhm. Ihr Foto war in allen Zeitschriften zu sehen, die Marseille dem Rest der Franzosen näher bringen wollten. Das Beispiel des Erfolgs. Das Symbol mediterraner Kreativität. Aber vielleicht war ich nicht objektiv. Kann schon sein. Tatsache war, dass es in Les Goudes heute nur noch sechs Berufsfischer gab, und in L'Estaque sah es keinen Deut besser aus. Dass die Frachter im Joliette-Hafen - becken immer seltener wurden. Dass die Piers praktisch verwaist dalagen, während La Spezia in Italien und Algeciras in Spanien ihren Güterverkehr vervierfacht hatten.
In Anbetracht all dessen fragte ich mich oft, warum ein Hafen nicht in erster Linie als Hafen genutzt und entwickelt wurde. So sah ich die Kulturrevolution in Marseille. Mit den Füßen voran ins Wasser.
Cue erwartete eine Reaktion von mir. Ich zeigte keine. Ich wartete. Ich war hier, um zu begreifen.
»Ich sage all das, um Ihnen klarzumachen«, nahm sie den Faden jetzt sicherer und ohne über ihre Worte zu stolpern wieder auf, »dass ich an dem hänge, was ich aufgebaut habe. Ich habe es für Mathias aufgebaut. Mein ganzes Leben gilt ihm.«
»Er hat seinen Vater nicht kennen gelernt?«, unterbrach ich.
Die Frage warf sie aus dem Gleis. Die Haare fielen ihr wieder wie ein Schutzschild über die Augen.
»Nein ... Warum?«
»Guitou auch nicht. In der Beziehung ging es ihnen bis Freitag - abend gleich. Und ich nehme an, dass Mathias' Verhältnis zu Adrien nicht gerade einfach ist.«
»Woher nehmen Sie das Recht zu dieser Unterstellung?«
»Weil ich gestern eine ähnliche Geschichte gehört habe. Guitous Geschichte. Von einem Typ, der sich für seinen Vater hält. Und
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