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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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ihre beiden Kinder. Ich spiele abends den Papa, dann hab ich was zu tun.«
    »Und danach spielst du mit der Mama.«
    »He! Wir sind noch nicht zu alt dafür, oder?«
    Er trank aus.
    »Sie erwartet nichts von mir und ich nichts von ihr. Wir vertreiben uns abends nur die Langeweile.«
    Ich stieg wieder in meinen Wagen und legte eine Kassette von Pinetop Perkins ein. Blues After Hours. Für den Rückweg in die Stadt. Der Marseille-Blues gefiel mir immer wieder am besten.
    Ich machte einen Umweg über die Küstenstraße. Über die hässlichen Stahlbrücken, die die euromediterranen Landschaftsberater abreißen wollten. In einem Artikel in der Zeitschrift Marseille sprachen sie von »der kalten, abstoßenden Wirkung dieser Welt aus Maschinen, Beton und vernieteten Balken unter der Sonne«. Idioten!
    Der Hafen war großartig aus dieser Perspektive. Man verschlang ihn im Fahren mit den Augen. Die Piers. Frachter. Kräne. Fähren. Das Meer. Das Chateau d'If und die Frioul-Inseln in der Ferne. Das alles war Balsam für die Seele.

Neuntes Kapitel
    In dem man lernt, dass es schwierig ist,
die Toten zu ü berleben

    Wir fu hren Stoßstange an Stoßstange und unter großem Gehupe. Seit der Comiche waren in beide Richtungen nur noch lange Autoschlangen. Die ganze Stadt schien in den Eiscafés, Bars und Restaurants an der Küste verabredet zu sein. Bei dem Tempo würde ich meinen gesamten Kassettenvorrat aufbrauchen. Ich war von Pinetop Perkins zu Lightnin' Hopkins übergegangen. Darling, Do You Remember Me?
    In meinem Kopf begann es zu arbeiten. Erinnerungen. Seit einigen Monaten gerieten meine Gedanken immer öfter außer Kontrolle. Ich konnte mich schlecht auf eine Sache konzentrieren, nicht einmal aufs Fischen - was heißt, dass es ernst wurde. Je mehr Zeit verging, desto mehr beanspruchte Loles Abwesenheit meine Gedanken. Bestimmte mein Leben. Ich lebte in der Leere, die sie hinterlassen hatte. Nach Hause zu kommen war am schlimmsten. Allein zu Hause zu sein. Zum ersten Mal in meinem Leben.
    Ich hätte doch eine andere Musik einlegen sollen. Meine düsteren Gedanken mit kubanischen Rhythmen vertreiben. Guillermo Porta - bales. Francisco Repilado. Oder noch besser Buena Vista Social Club. Hätte ich doch. Mein Leben reduzierte sich auf dieses »Hätte ich doch«. Klasse, sagte ich mir und hupte den Fahrer vor mir kräftig an. Er ließ in aller Ruhe seine Familie mit ihrer Picknickausrüstung für den Abend am Strand aussteigen. Kühltasche, Stühle, Klapp - tisch. Fehlt nur noch der Fernseher, dachte ich. Schlechte Laune stieg in mir hoch.
    Auf der Höhe des Café du Port, an der Pointe Rouge –so weit waren wir in vierzig Minuten gekommen –, hatte ich Lust, mir ein Gläschen zu genehmigen. Ein oder zwei. Vielleicht drei. Aber ich dachte an Fonfon und Honorine, wie sie auf der Terrasse auf mich warteten. Ich war nicht wirklich allein. Die beiden waren da. Mit ihrer Liebe für mich. Ihrer Geduld. Heute Morgen, nach Hélène Pessayres Anruf, war ich abgehauen, ohne ihnen auch nur guten Morgen zu sagen. Ich hatte noch nicht den Mut gefunden, es ihnen zu erzählen. Wegen Sonia.
    »Wen wollen Sie umbringen?«, hatte Honorine letzte Nacht gefragt.
    »Vergessen Sie es, Honorine. Es gibt Tausende von Leuten, die ich gern umbringen würde.«
    »Nun ja, aber es scheint, dass der da aus dem ganzen Haufen Ihnen besonders am Herzen liegt.«
    »Es ist nichts, es ist die Hitze. Die raubt mir den letzten Nerv. Legen Sie sich wieder hin.«
    »Machen Sie sich doch einen Kamillentee. Das entspannt. Fonfon macht das jetzt auch.«
    Ich hatte den Kopf gesenkt. Weil ich die Fragen, die in ihr aufkamen, nicht in ihren Augen lesen wollte. Auch nicht ihre Angst, mich in verzwickte Geschichten verwickelt zu sehen. Ich konnte mich noch genau erinnern, wie sie mich vor vier Jahren angesehen hatte, als ich ihr von Ugos Tod erzählt hatte. Diesem Blick wollte ich nicht noch mal gegenüberstehen. Um nichts in der Welt. Und am wenigsten jetzt.
    Honorine wusste, dass ich meine Hände nicht mit Blut befleckt hatte. Dass ich mich nie dazu habe durchringen können, einen Menschen kaltblütig zu töten. Baristi hatte ich den Flics überlassen. Narni war mit seinem Wagen vom Col de la Gineste in eine tiefe Schlucht gestürzt. Es blieb nur Saadna. Ich hatte ihn mitten in den Flammen sitzen lassen und bereute es nicht. Aber nicht einmal dieses widerwärtige Stück Scheiße hätte ich einfach so berechnend umbringen können. Sie wusste das alles. Ich hatte es ihr

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