Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
geliebt, triffst du mit Sicherheit nicht einfach so an einer anderen Wendung deines Lebens wieder. Bekanntlich gibt es kein Fundbüro für verlorene Lieben.
    Sonia hätte das verstanden. Sie, die mein Herz so schnell geöffnet hatte, mein Vertrauen in so kurzer Zeit erlangt. Und vielleicht hätte es ein Danach gegeben. Ein Danach, das unseren Wünschen gerecht geworden wäre.
    »Ach ja«, sagte de Luca und trank erneut aus.
    Ich stand auf.
    »Bist du nur deshalb gekommen, um mir zu sagen, dass du es warst?«
    »Ja«, log ich. »Es dir zu sagen.«
    Er stand mühsam auf.
    »Weiß der Kleine es schon?«
    »Noch nicht. Ich weiß nicht, wie ... Ich weiß auch nicht, was ich mit ihm machen soll ... Einen Abend, einen Tag, verstehst du. Eine Woche in den Ferien ... Aber ihn großziehen? Ich habe meiner Frau geschrieben ...»
    »Kann ich ihm guten Abend sagen?«
    De Luca nickte. Aber gleichzeitig legte er seine Hand auf meinen Arm. Die ganze zurückgehaltene Trauer würde aus ihm heraus - brechen. Seine Brust hob sich. Schluchzer brachen die Dämme aus Stolz, die er vor mir errichtet hatte.
    »Warum?«
    Er begann zu weinen.
    »Warum hat man sie mir genommen? Warum sie?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich ganz leise.
    Ich zog ihn an mich und hielt ihn fest. Er wurde vom Weinen ge - schüttelt. Ich wiederholte, so sanft ich konnte: »Ich weiß nicht.«
    Seine Tränen für Sonia, dicke, heiße, klebrige Tränen, rannen meinen Hals entlang. Sie trugen den Geruch des Todes. Den ich neulich Abend bei Hassan wahrgenommen hatte. Genau so. Vor meinem inneren Auge versuchte ich, Sonias Killer ein Gesicht zu geben.
    Dann sah ich Enzo mit einem kleinen Teddybären in der Hand vor uns stehen.
    »Warum weint Papi?«
    Ich machte mich von de Luca los und hockte mich vor Enzo. Ich legte meine Arme um seine Schultern.
    »Deine Mama«, sagte ich, »sie kommt nicht wieder. Sie hat ... Sie hat einen ... Einen Unfall gehabt. Verstehst du das, Enzo? Sie ist tot.«
    Und ich fing auch an zu heulen. Wegen uns, die wir all dies überleben mussten. Die ewige Verderbtheit der Welt.

Zehntes Kapitel
    In dem von einer Leichtigkeit die Rede ist,
die jede menschliche Trauer
wie auf den Schwingen einer Lachm ö we
davonzutragen vermag

    Ich hatte mit Fonfon und Honorine bis Mitternacht Rommé gespielt. Mit ihnen Karten zu spielen war mehr als ein Vergnügen. Eine Form von Gemeinsamkeit. Komplizierte Gefühle zu teilen, ohne sie offen auszusprechen. Zwischen zwei Karten wurden Blicke gewechselt, Lächeln erwidert. Und obwohl das Spiel einfach war, mussten wir auf die Karten Acht geben, die der eine oder andere ausspielte. Es war mir recht, meine Gedanken noch ein paar Stunden für mich zu behalten.
    Fonfon hatte eine Flasche Bunan mitgebracht. Ein alter Trester aus La Cadière bei Bandol.
    »Probier das«, hatte er gesagt, »das ist mal was anderes als dein schottischer Whisky. «
    Er war köstlich. Mit meinem leicht nach Torf schmeckenden Lagavulin hatte er nichts gemein. Der schön trockene, rein fruchtige Bunan enthielt den vollen Geschmack der Garrigue. Während ich zwei Partien Rommé gewonnen und acht verloren hatte, hatte ich genüsslich vier kleine Gläser geleert. Als wir gerade aufbrechen wollten, kam Honorine mit einem wattierten Umschlag zu mir.
    »Da, das hätte ich fast vergessen. Das hat der Briefträger heute Morgen für Sie hinterlegt. Er wollte es nicht in den Briefkasten stecken, weil › zerbrechlich ‹ draufstand.«
    Kein Absender auf der Rückseite. Der Brief war in Saint-Jean-du-Gard aufgegeben worden. Ich öffnete den Umschlag und zog fünf Disketten heraus. Zwei blaue, eine weiße, eine rote, eine schwarze. »Ich liebe dich immer noch«, hatte Babette auf ein Stück Papier geschrieben. Und darunter: »Heb das gut für mich auf.«
    Babette! Das Blut pochte mir in den Schläfen. Sonia tauchte blitzartig vor mir auf. Sonias Gesicht. Sonia mit aufgeschlitzter Kehle. In dem Augenblick konnte ich mich genau an Sonias Hals erinnern. Sonnengebräunt wie der Rest ihrer Haut. Schlank. Er wirkte so weich wie ihre Schulter, auf die ich meine Hand einen Augenblick gelegt hatte. Ein Hals, der zum Küssen aufforderte, dort unter dem Ohr. Oder zum Streicheln, mit den Fingerspitzen, nur aus Wonne an der Zartheit der Berührung. In diesem Moment hätte ich Babette hassen können!
    Aber wie kann man jemanden hassen, den man liebt? Den man geliebt hat? Einen Freund oder eine Geliebte. Mavros oder Lole . Genauso wenig, wie ich Manu und Ugo die Freundschaft

Weitere Kostenlose Bücher