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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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bei Hassan schufen sie familiäre Bindungen.
    Als Sonias Name fiel, erschien Enzo. Sein Kopf reichte seinem Großvater gerade bis an die Taille. Er klammerte sich an sein Bein und sah ebenfalls zu mir auf. Aus den grau-blauen Augen seiner Mutter.
    »Ich ...«
    »Komm rein, komm rein ... Enzo! Geh wieder ins Bett. Es ist fast zehn. Die Gören wollen nie schlafen«, bemerkte er lustlos.
    Das Zimmer war ziemlich groß, aber voll gestopft mit Krimskrams überladenen Möbeln und eingerahmten Familienfotos. So, wie seine Frau es vor zehn Jahren hinterlassen hatte, als sie de Luca verlassen hatte. So, wie sie es vorfinden sollte, wenn sie eines Tages wieder - kam. »Früher oder später«, hatte er voller Hoffnung gesagt.
    »Machs dir bequem. Willst du was trinken?«
    »Pastis, ja. Aus einem großen Glas. Ich hab Durst.«
    »Elende Hitze«, sagte er.
    Er war nur wenig älter als ich. Sieben oder acht Jahre vielleicht. Es fehlte nicht viel, und ich hätte ein Kind in Sonias Alter haben können. Eine Tochter. Einen Jungen. Bei dem Gedanken wurde mir mulmig.
    Er kam mit zwei Gläsern, Eiswürfeln und einer großen Karaffe Wasser zurück. Dann holte er die Flasche Pastis aus einem Schrank. »Warst du das, mit dem sie gestern Abend verabredet war?«, fragte er und schenkte mir ein.
    »Ja.«
    »Als ich dich da vor der Tür gesehen hab, hab ich verstanden.«
    Sieben oder acht Jahre Unterschied. Fast das gleiche Alter. Die Nachkriegsgeneration. Die Zeit der kleinen Opfer, des schmalen Portemonnaies. Nudeln mittags und abends. Und Brot. Schnitten mit Tomaten und ein paar Tropfen Olivenöl. Brokkolibrot. Brot mit Auberginen. Auch die Generation der großen Träume, die für alle unsere Väter Stalins herzliches Lächeln trugen. De Luca war mit fünfzehn der Kommunistischen Jugend beigetreten.
    »Ich habe das alles für bare Münze genommen«, hatte er mir erzählt. »Ungarn, die Tschechoslowakei, die weltweit positive Bilanz des Sozialismus. Jetzt glaub ich nur noch an Bares!«
    Er reichte mir das Glas, ohne mich anzusehen. Ich konnte mir denken, was in seinem Kopf vorging. Seine Gefühle. Seine Tochter in meinen Armen. Seine Tochter unter meinem Körper, bei der Liebe. Ich weiß nicht, ob ihm das wirklich gefallen hätte. Diese Geschichte zwischen ihr und mir.
    »Es war nichts zwischen uns, weißt du. Wir wollten uns wieder - sehen, und ...«
    »Lass es, Montale. Das ist jetzt alles...«
    Er nahm einen tiefen Schluck Pastis, dann sah er mich schließlich an.
    »Du hast keine Kinder?«
    »Nein.«
    »Dann kannst du es nicht verstehen.«
    Ich schluckte. De Luca litt entsetzlich. Seine Augen glänzten ver - dächtig. Ich war sicher, dass wir Freunde geworden wären, sogar danach. Und dass er bei unseren Mahlzeiten mit Fonfon und Honorine dabei gewesen wäre.
    »Wir hätten etwas aufbauen können, sie und ich. Glaube ich. Mit dem Kleinen.«
    »Du warst nie verheiratet?«
    »Nein, nie.«
    »Du musst einige Frauen gekannt haben.«
    »Es ist nicht so, wie du denkst, de Luca.«
    »Ich denke gar nichts mehr. Wie dem auch sei ...«
    Er trank aus.
    »Möchtest du noch was?«
    »Einen Schluck.«
    »Sie ist nie glücklich gewesen. Hat nur Idioten kennen gelernt. Erklär mir das, Montale. Schön, intelligent, und nur Idioten. Ich spreche nicht vom Letzten, dem Vater von ... « Er deutete mit dem Kopf in Richtung von Enzos Schlafzimmer. »Zum Glück hat er sich verpisst, den hätte ich sonst eines Tages umgebracht.«
    »Das kann man nicht erklären.«
    »Hmja. Ich glaube, wir vergeuden unsere Zeit damit, uns zu ver - lieren, und wenn wir uns finden, ist es zu spät.«
    Er sah mich erneut an. Hinter den Tränen, die jeden Moment kommen konnten, glomm ein Funken Freundschaft.
    »Mein ganzes Leben«, sagte ich, »ist es so gewesen.«
    Mein Herz begann heftig zu schlagen, dann krampfte es sich plötzlich zusammen. Als wenn Lole es von irgendwo erdrückte. Sie hatte tausendmal Recht, ich verstand nicht die Bohne. Lieben bedeutete zweifellos, sich dem anderen nackt preiszugeben. Nackt in seinen Stärken und Schwächen. Wahr. Wovor hatte ich in der Liebe Angst? Vor dieser Nacktheit? Ihrer Wahrheit? Der Wahrheit?
    Sonia hätte ich alles erzählt. Auch die Hemmschwelle in meinem Herzen eingestanden, die Lole war. Ja, wie ich de Luca gesagt hatte, mit Sonia hätte ich etwas aufbauen können. Etwas anderes. Freuden, Lachen. Glück. Aber etwas anderes. Nur etwas anderes. Die Frau deiner Träume, jahrelang erwartet und begehrt, schließlich getroffen und

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