Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
hatte aufkündigen können. Man kann sich versagen, sie zu sehen, von sich hören zu lassen, aber hassen, nein, das ist unmöglich. Für mich jedenfalls.
Ich las Babettes Notiz noch einmal und wog die Disketten in der Hand. Ich hatte das Gefühl, das wars. Als seien unsere Schicksale unter widerwärtigsten Umständen miteinander verknüpft. Babette berief sich auf die Liebe, dabei war es der Tod, der um die Ecke schaute. Auf Leben und Tod. Als Kinder hatten wir das gesagt. Wir ritzten unsere Handgelenke auf und legten sie mit gekreuzten Armen aneinander. Geteiltes Blut. Freunde fürs Leben. Brüder. Die ewige Liebe.
Babette. Jahrelang hatten wir nur unsere Begierden geteilt. Und unsere Einsamkeit. Bei ihrem »Ich liebe dich immer noch« war mir unwohl. Ich konnte es nicht erwidern. Meinte sie es ernst?, fragte ich mich. Oder sah sie nur keine andere Möglichkeit, um Hilfe zu rufen? Ich wusste nur zu gut, dass man Dinge sagen konnte und sie in dem Moment auch wirklich ernst meinte, die man Stunden oder Tage später durch seine Taten Lügen strafte. Besonders in der Liebe. Denn die Liebe ist das irrationalste aller Gefühle, und seine Quelle –da mag man sagen, was man will –liegt in der Begegnung zweier Geschlechter und der Lust, die sie sich gegenseitig verschaffen.
Lole hatte eines Tages gesagt, während sie ihre Sachen packte: »Ich verreise. Eine Woche vielleicht.«
Ich hatte sie lange angeschaut, mit den Augen liebkost, einen Klumpen im Magen. Normalerweise hätte sie gesagt: »Ich fahre zu meiner Mutter«, oder: »Meiner Schwester geht es nicht gut, ich fahre für ein paar Tage nach Toulouse«.
»Ich muss nachdenken, Fabio. Ich brauche das. Für mich. Verstehst du, ich muss an mich denken.«
Sie war verkrampft, als sie mir das so sagen musste. Sie hatte nicht den richtigen Moment gefunden, um es mir mitzuteilen. Es zu erklären. Ich verstand ihre Anspannung, auch wenn es mir wehtat. Ich hatte vorgehabt, aber ohne es ihr zu sagen –wie üblich –, einen Ausflug ins Hinterland von Nizza mit ihr zu machen. Richtung Gorbio, Sainte-Agnès, Sospel.
»Mach, was du willst.«
Sie fuhr zu ihrem Freund. Diesem Gitarristen, den sie bei einem Konzert kennen gelernt hatte. In Sevilla, als sie bei ihrer Mutter zu Besuch war. Lole hatte es mir erst bei ihrer Rückkehr gestanden.
»Ich kann nichts dafür ...«, fügte sie hinzu. »Ich habe nicht gedacht, dass es so schnell passieren würde, Fabio.«
Ich nahm sie in die Arme, zog ihren leicht widerstrebenden Kör - per an meinen. Da wusste ich, dass sie nachgedacht hatte, für sich, über uns. Aber so hatte ich mir das natürlich nicht vorgestellt. So hatte ich ihre Worte bei ihrem Abschied nicht aufgefasst.
»Sagen Sie, was sind das für Sachen?«, fragte Honorine.
»Disketten. Die sind für Computer.«
»Kennen Sie sich damit denn aus?«
»Ein wenig. Ich hatte mal einen. In meinem Büro.«
Ich umarmte sie beide. Und wünschte ihnen gute Nacht. Jetzt hatte ich es plötzlich eilig.
»Wenn du früh weggehst, komm trotzdem vorher vorbei«, bat Fonfon.
»Versprochen.« Ich war mit den Gedanken schon woanders. Bei den Disketten. Ihrem Inhalt. Die Gründe dafür, dass Babette jetzt im Schlamassel steckte. In den sie mich mit hineinzog. Und der Sonia das Leben gekostet hatte. Und wegen dem ein achtjähriger Junge und ein verstörter Großvater auf der Strecke blieben.
Ich rief Hassan an. Als er abnahm, erkannte ich die ersten Takte von In A Sentimental Mood. Und den Klang. Coltrane und Duke Ellington. Ein Juwel.
»Sag mal, hängt Sébastien zufällig bei dir rum?«
»Klar. Ich sag ihm Bescheid.«
Im Laufe der Jahre hatte ich in der Kneipe mit einer Gruppe von Freunden Kontakt bekommen. Sébastien, Mathieu, Régis, Cédric. Sie waren fünfundzwanzig Jahre jung. Mathieu und Régis beendeten gerade ihr Architekturstudium. Cédric malte, und seit neuestem organisierte er auch Techno-Konzerte. Sébastien arbeitete schwarz auf Baustellen. Die Freundschaft, die sie verband, wärmte mir das Herz. Sie war greifbar und nur zu verständlich. Mit Manu und Ugo war es genauso. Wir schwankten Abend für Abend von einem Bistro ins nächste und lachten über alles, sogar über unsere jeweiligen Freundinnen. Wir waren verschieden und hatten die gleichen Träume. Wie diese vier jungen Leute. Und wie sie wussten wir, dass wir unsere Gespräche mit niemandem sonst hätten führen können.
»Ja«, sagte Sébastien.
»Montale hier. Ich stör hoffentlich nicht?«
»Die Mädchen
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