Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
sind unter der Dusche. Wir sind ganz unter uns.«
»Hör zu, könnte dein Cousin Cyril ein paar Disketten für mich lesen?«
Cyril, so hatte Sébastien erläutert, war ein Computerfreak. Er war mit allem nur erdenklichen Zubehör ausgestattet. Und surfte die ganze Nacht durchs Internet.
»Kein Problem. Wann denn?«
»Jetzt gleich?«
»Jetzt gleich! Oh! Verdammt, das ist ja schlimmer als zu deiner Zeit als Bulle!«
»Du könntest es nicht besser sagen.«
»Okay. Also, wir warten auf dich. Wir haben vier Runden Vorsprung!«
Ich brauchte keine zwanzig Minuten. Ich hatte grüne Welle bis auf drei Ampeln, die ich bei Gelb nahm. Kein einziger Bulle weit und breit. Bei Hassan war nicht viel los. Sébastien und seine Kumpel. Drei Paare. Und ein Stammgast, um die dreißig, eine müde Erschei - nung, der jede Woche kam, um Taktik, Marseilles kostenloses Kul - turmagazin, von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen. Sicher weil er sich keine Konzert-oder auch nur Kinokarte leisten konnte.
»Wenn du mir die vom Hals schaffst«, sagte Hassan und zeigte auf die vier jungen Leute, »kann ich zumachen.«
»Cyril erwartet uns«, sagte Sébastien. »Wann du willst. Er wohnt nur ein paar Schritte von hier. Boulevard Chave.«
»Trinkt ihr noch eine Runde mit?«
»Nun, das ist das Mindeste bei Nachtarbeit, nicht?«
»Gut, die letzte«, warf Hassan ein. »Bringt eure Gläser her.«
Er gab mir einen Whisky. Ohne zu fragen. Den gleichen, den Sonia getrunken hatte. Einen Oban. Er schenkte sich auch einen ein, was eine Ausnahme war. Er hob sein Glas zum Anstoßen. Wir sahen uns an. Wir dachten beide das Gleiche. An dieselbe Person. Reden war nicht nötig. Es war wie mit Fonfon und Honorine. Es gibt kein Wort für das Böse.
Hassan hatte das Album von Coltrane und Ellington laufen lassen. Sie stimmten Angelica an. Ein Stück über die Liebe. Freude. Glück. Mit einer Leichtigkeit, die jede menschliche Trauer wie auf den Schwingen einer Lachmöwe zu anderen Ufern davonzutragen vermochte.
»Noch einen?«
»Einen Schnellen. Für die Jungs auch.«
Die fünf Disketten enthielten seitenweise Dokumente. Babette hatte so viel Informationen wie möglich darauf komprimiert.
»Gehts so?«, fragte Cyril.
Ich saß vor seinem Computer und fing an, die Dateien der blauen Disketten durchzugehen.
»'ne Stunde wirds schon dauern. Ich will nicht alles lesen. Nur ein paar Sachen raussuchen, die ich brauche.«
»Lass dir Zeit. Wir haben genug, um eine Belagerung durchzustehen!«
Sie hatten mehrere Sechserpacks Bier, Pizzen und genug Zigaretten mitgebracht, um nicht zu schmachten. So, wie sie aufgebrochen waren, würden sie die Welt noch gut vier-oder fünfmal erneuern. Und nach dem, was vor meinen Augen ablief, hatte die Welt eine Erneuerung dringend nötig.
Aus Neugier hatte ich das erste Dokument geöffnet. Wie die Mafia die Weltwirtschaft unterwandert. Offensichtlich hatte Babette mit der Zusammenfassung ihrer Nachforschungen begonnen. »In einer Zeit der weltweiten Verflechtung der Märkte wird die Rolle der organisierten Kriminalität im Bereich der Wirtschaft immer noch nicht richtig eingeschätzt. Aufgrund von Hollywoodklischees und Sensationsjournalismus denkt die Öffentlichkeit beim Begriff › Kriminalität ‹ an den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Während kleinkriminelle Vergehen groß herausgestellt werden, erfährt man so gut wie nichts über die Rolle und den Einfluss von internationalen Verbrecherorganisationen in Politik und Wirt - schaft.«
Ich klickte weiter. »Das organisierte Verbrechen ist eng mit der Wirtschaft verflochten. Die Öffnung der Märkte, der Niedergang des Wohlfahrtsstaats, die Privatisierungen, die Deregulierung der internationalen Finanz-und Geschäftswelt und so weiter begünstigen die Zunahme unerlaubter Machenschaften und die Internationalisierung der damit einhergehenden Wirtschaftskriminalität.
Nach Angaben der Vereinten Nationen belaufen sich die jährlichen Einkünfte der transnationalen Verbrecherorganisationen weltweit auf zirka tausend Milliarden Dollar; das entspricht dem Bruttosozialprodukt (BSP) aller Länder, die –mit insgesamt drei Milliarden Einwohnern –von der Weltbank als einkommensschwach eingestuft werden. Die geschätzte Summe umfasst sowohl den Erlös aus illegalen Waffenverkäufen, aus dem Drogenhandel, dem Schmuggel atomaren Materials und so weiter als auch die Profite aus Geschäften, die von der Mafia kontrolliert werden (Prostitution, Glücksspiel,
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