Marsha Mellow
sie triumphierend.
»Wer?«
»Wen, Schätzchen, es heißt wen«, verbessert sie mich, was mich prompt ärgert. »Die Pressetante von der Mail natürlich. Denkst du etwa, die bewacht immer nur brav meine Haustür? Ich habe den Trick mit dem Taxi ausprobiert, den ich mir aus einem Thriller von Len Deighton abgeschaut habe - übrigens ein großartiger Schriftsteller, aber völlig verkannt. Dabei war es ein ziemlicher Albtraum, dem Taxifahrer, der so gut wie kein Englisch sprach, die Feinheiten eines Abhängungsmanövers zu vermitteln, aber letzten Endes hat es ja geklappt. Ich denke, wir haben sie in Camden abgeschüttelt.«
Wider Erwarten macht sie sich nicht daran, meine Wohnung nach Wanzen abzusuchen, sondern pflanzt sich direkt auf das Sofa. Ich lasse mich in den Sessel gegenüber fallen.
»Bevor du überhaupt anfängst, ich werde mich keinesfalls outen«, verkünde ich.
»Aber die Mail wird nicht so leicht locker lassen. Meine Liebe, du weißt doch, worauf diese Revolverblättchen aus sind. Wenn die eine schlüpfrige Story wittern, verhalten die sich wie ein Terrier, der einem vor lauter Geilheit am Bein hängt - fruchtbar und ohne jegliche Hemmungen.«
Obwohl sie erst wenige Minuten hier ist, fühle ich mich bereits in die Ecke gedrängt. Ich demonstriere das, indem ich eine Fötus-Position einnehme.
»Sieh den Tatsachen ins Auge, Amy. In der morgigen Ausgabe der Daily Mail wird Marsha Mellow als Staatsfeind Nummer eins an den Pranger gestellt. Das einzige Problem dabei ist, dass sie nicht ihre wahre Identität kennen, aber die werden keine Ruhe geben, bis sie ihr hübsches Gesicht auf die Titelseite gebracht haben - dein hübsches Gesicht.«
Mittlerweile presse ich die Beine so fest an meinen Oberkörper, dass ich Gefahr laufe, mir eine Rippe zu brechen. Ich hoffe, sie ist jetzt endlich fertig.
Ist sie nicht.
»Du weißt ganz genau, was das Vernünftigste wäre. Oute dich. Nimm die Sache selbst in die Hand, solange du noch Zeitpunkt und Ort selbst wählen kannst. Ist es dir nicht lieber, dich mit Anstand zu outen, statt in flagranti erwischt zu werden? Denk doch nur an den armen George Michael damals auf diesem schmuddeligen, öffentlichen Klo.«
Schweigen.
»Amy, Amy, du weißt, dass es die einzige Möglichkeit ist.«
Ich strecke die Beine wieder aus und zünde mir meine dritte Zigarette an, seit sie hier ist. Danach wechsle ich schnell das Thema. »Mich würde ungemein interessieren, wer mich bei der Mail verpfiffen hat«, schimpfe ich.
»Sieh mich nicht so an, Herzchen. Du weißt, dass meine Lippen in dieser Angelegenheit wie versiegelt sind. Wie auch immer, ich habe ebenfalls guten Grund, mich aufzuregen. Wie zum Teufel hat die Mail erfahren, dass ich deine Agentin bin? Irgendeiner muss gezwitschert haben, aber das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Nachforschungen anzustellen. Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren.«
»Ich kann das nicht. Ich kann mich nicht hinstellen und der Welt verkünden, dass ich das war. Und außerdem warst du mit dem Geheimplan einverstanden.«
»Das ist richtig, aber nur dir zuliebe. Im Übrigen ist das schon eine Ewigkeit her. Seitdem hat sich einiges geändert.«
»Ich kann das nicht«, wiederhole ich. »Mum bringt mich um.« Das ist mein voller Ernst.
»So schlimm wird es schon nicht. Immerhin ist sie deine Mutter. Sie liebt dich ... bedingungslos.«
»Du kennst meine Mutter nicht. Sie tut nichts bedingungslos.«
»Ich möchte dir zwei unveränderliche Lebensweisheiten ans Herz legen, Amy. Nichts ist wirklich so schlimm, wie man befürchtet, und niemand reagiert so, wie man erwartet.«
Ich weiß - und das schon von Anfang an -, dass Mary im Prinzip immer richtig liegt, aber mir ist auch sehr wohl bewusst, dass ich unfähig bin, ihren Rat zu befolgen. Es gibt da nämlich diesen einen heiklen Punkt, in dem sie sich irrt: Ich weiß nur zu gut, wie meine Mutter reagieren wird (ich sprach ja bereits von Mord).
Zum ersten Mal in meinem Leben wird mir klar, was es heißt, in der Klemme zu stecken. In mir kriecht Panik hoch, und ich muss jetzt unbedingt etwas unternehmen. Ich greife auf Plan B zurück.
»Mary«, sage ich in verheißungsvollem Ton, als wäre ich soeben zu einer Entscheidung gelangt.
»Ja, Liebes?«, erwidert sie erwartungsvoll, wobei sie ihre Körpermasse gefährlich weit nach vorne beugt.
»Ich muss mal aufs Klo.«
Zehn Minuten später hämmert sie gegen die Badezimmertür. »Komm gefälligst wieder raus«, befiehlt sie.
»Ich
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