Marshall McLuhan
Louis University wieder auf, aber es war nicht mehr dasselbe wie vorher. William McCabe war durch den weit weniger wagemutigen Norman Dreyfus ersetzt worden, der McCabe nicht ausstehen konnte und den Schützlingen seines Vorgängers das Leben zur Hölle machte. Vor allem Marshall, den er mit Routinearbeiten betraute wie zum Beispiel Studienanfänger in Englisch zu unterrichten. Und als die USA Ende 1941 der Krieg erreichte, wurde Marshall eingezogen, um – in Wellblechhütten, nach seiner regulären Arbeit – junge Rekrutinnen im Abfassen von Berichten zu unterrichten.
Zwischen Marshall und Dreyfus verlief ein tiefer Graben, eine Gegensätzlichkeit in der Einstellung und im wissenschaftlichen Standpunkt, wie sie Marshall seine gesamte Karriere über begegnen sollte. McLuhan war berüchtigt dafür, Entscheidungen zu treffen und sich erst im Nachhinein um eine Erklärung zu kümmern – ein rotes Tuch für jeden orthodoxen Fakultäts-Torero. Es machte ihm Spaß, Ideen aufeinanderprallen zu lassen und zu sehen, was dabei herauskam. (Meine Güte, wie viel Freude er doch mit dem Internet gehabt hätte).
Marshall war ein schneller Leser und erfasste Gedanken sofort, aber er hatte nicht die Geduld, sich durch ein Buch zu arbeiten, das ihn nicht von Anfang an interessierte. Für diese Fälle entwickelte er eigens eine Technik: Jedes neue Buch, das er in die Hand nahm, schlug er auf Seite 69 auf, und wenn die ihn nicht beeindruckte, las er es nicht. 12 Die angespannte Stim mung,die sich in Dreyfus’ Abteilung breit machte, war noch die nächsten Jahrzehnte über spürbar. Ob abtrünnig oder nicht, Marshall konnte als Wissenschaftler ziemlich schlampig und ungenau sein, und schwammig in der Sprache. In den folgenden Jahren bekam die Akademie es regelmäßig mit der Angst zu tun, sobald er ein wichtiges neues Thema aufgriff, aber neben ein paar überflüssigen, bloß systemerhaltenden Regeln brach er dabei eben tatsächlich auch solche, die sinnvoll und wichtig waren. Und so wurde er von den Kollegen entweder geliebt oder gehasst. Nimmt man dann noch Marshalls paranoide Ader hinzu, überall Feindseligkeiten zu wittern, wo keine waren, wird klar, wie wenig geeignet er für dieses akademische Minenfeld war. Dass er es in der universitären Welt so lange aushielt, grenzt an ein Wunder.
Womöglich gab es noch andere Gründe für die Feindseligkeit, die McLuhan hervorrief. Dass er sich von seiner Zeit distanzierte und die Moderne ablehnte, dazu seine Tendenz zur Paranoia, all das entfernte ihn ganz klar von seiner Umgebung und machte ihn nicht unbedingt umgänglicher. Genau genommen war er ein verschrobener alter Kauz mit einem Haufen neuer Ideen, und manche Leute konnten Marshalls Erscheinungsbild und das, was aus seinem Mund kam, nicht miteinander in Einklang bringen (und das gilt heute noch). Hätte er ausgesehen wie Bob Dylan, wäre vielleicht einiges anders gelaufen.
Im Januar 1942 brachte Corinne einen Sohn zur Welt, Thomas Eric, das erste von sechs Kindern. Für Marshall beganneine neue Lebensphase, und mit ihr – bedingt durch die Vaterschaft und eine Faszination für die Insignien der modernen Konsumgesellschaft – eine seltsame Obsession für die Comic-Figur Dagwood Bumstead. 13 Ja, das ist so merkwürdig, wie es klingt, und nein, er hat keinen Schrein mit vergilbten Zeitungsausschnitten und einer Voodoo-Puppe drum herum gebaut. In seinen Augen verkörperte Dagwood alles, was mit amerikanischen Männern nicht stimmte, und so wurde er zum Ausgangspunkt seines 1951 erschienenen Buches
Die mechanische Braut
, einer Sammlung analytischer Essays und häufig brillanter Tiraden gegen die Erzeugnisse der kurzlebigen Massenkultur, und vor allem dagegen, wie die Zeitschriftenwerbung den Menschen Nachkriegsträume von einem strahlenden Alltag verkaufte.
Marshall sah Dagwood als entmannte Drohne, die das Familienleben im industriellen Amerika auf drei täglich, und sonntags in Farbe, erscheinende rechteckige Bildchen reduzierte. Man muss kein Genie sein, um in dem tollpatschigen Dagwood Marshalls Vater Herbert zu erkennen und in der heimlichen Domina-Gattin Blondie seine Mutter Elsie. Nachdem er als Kind miterlebt hatte, wie sie den Vater tyrannisiert und immer wieder verlassen hatte (wenn sie beruflich auf Reisen war), fällte Marshall sein Urteil: Dagwood hatte seine täglichen Erniedrigungen mehr als verdient.
Marshalls Dagwood-Fimmel machte deutlich, dass seine kritischen Texte erst dann wirklich frisch und lebendig
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