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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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oder auch bei Freudenmädchen. Als sie klein war, hörte sie lieber auf »Margarita« – vielleicht weil sie intuitiv nach einer Möglichkeit suchte, jenem Schicksal zu entrinnen, das sie viel zu schnell erwachsen werden ließ.
    Marthita oder Martula, wie ihre Freunde sie nannten, heißt in Wirklichkeit María Martha. Im Evangelium nach Lukas kehrte Jesus bei den beiden Schwestern Martha und Maria ein. Während Maria seinen Reden lauschte, beeilte sich Martha, ihm einen angenehmen Empfang zu bereiten. Erstere wurde von etwas
Höherem geleitet, von einer Art göttlichen Eingebung. Die andere handelte schlicht menschlich; sie vergeudete ihre Kräfte, wollte einfach nur leben.
    Ohne ihre Mutter wäre aus Martha wahrscheinlich nie eine Virtuosin geworden. Die Mutter hat die Tochter – hartnäckig und zäh, wie sie war – zum Gipfel geführt. Aber die Pianistin verdankt auch ihrem Vater viel. Er war derjenige, der ihre Fantasie nährte, indem er ihr Geschichten erzählte. Er lehrte sie »die Lust am Risiko«, indem er sie an beiden Unterarmen haltend über einen Abgrund hob. Nicht einen Funken Angst hatte sie
da.
    Es dürfte auf der ganzen Welt nur eine einzige Familie Argerich geben, deren Wurzeln sowohl kroatisch als auch katalanisch sind. Tatsächlich gibt es in Kroatien ein Dorf, das Argeric heißt. Und wenn Martha in Barcelona auftritt, kommt nach dem Konzert fast immer irgendein Argerich auf sie zu, den sie nie zuvor gesehen hat, der aber steif und fest behauptet, mit ihr verwandt zu sein. Solche Situationen sind keine Seltenheit in Argentinien, wo die Bevölkerung in der Mehrzahl europäische Wurzeln hat, mit einem stark italienischen Überhang. In Südamerika wird gern der Spruch zitiert: »Wenn die Vorfahren der Mexikaner die Azteken und die der Peruaner die Inkas sind, so stammen die Argentinier von blinden Passagieren ab.«
    In Buenos Aires gibt es sogar zwei Krankenhäuser, die ihren Nachnamen tragen. Ein gewisser Cosme Argerich war der Leibarzt von General Belgrano, der 1810 das argentinische Volk vom Joch der spanischen Besatzer befreite. Der Gründer der Academia de Medicina in Buenos Aires hatte große Pläne. War diese mutmaßliche Verwandtschaft mit einer so positiv besetzten Gestalt der Grund dafür, dass Martha Argerich schon in jungen Jahren den Wunsch verspürte, Ärztin zu werden? Sie ist nicht die Einzige unter den Musikern, die zwischen diesen beiden Professionen schwankte, die so nah beieinanderliegen: Der Arzt kuriert die Leiden des menschlichen Körpers, der Musiker gibt der Seele Trost und Frieden. Der Pianist Arturo Benedetti Michelangeli hat die Kunst des Hippokrates studiert und hätte sie auch ausüben können. Alfred Cortot verschrieb sich zunächst ebenfalls einer medizinischen Karriere, bevor er sich ganz der Musik zuwandte. »Vielleicht habe ich mir durch mein Interesse am Abhorchen des menschlichen Körpers angewöhnt, auch bei musikalischen Werken ganz genau hinzuhören«, bemerkte er einst. In Marcel Prousts berühmtem Fragebogen erwiderte die argentinische Pianistin auf die Frage »Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?«: »Die Kunst des Heilens«. In der Tat haben Arzt und Musiker den Forscherdrang und das Bedürfnis gemeinsam, ihresgleichen zu helfen. Wahrscheinlich ein Erbe aus längst vergangenen Zeiten, als die Magier Krankheiten noch mit Liedern heilten, die in Gestalt und Harmonik ganz der jeweiligen Sym-
ptomatik angepasst wurden.
    Martha Argerich wurde am 5. Juni 1941 im Zeichen des Zwillings in Buenos Aires geboren. Auch der vielseitige Igor Strawinsky, der zarte Jacques Demy und der düstere Federico García Lorca erblickten an einem 5. Juni das Licht der Welt.
    Was ihr Äußeres betrifft, so hat Martha Argerich durchaus Ähnlichkeit mit einer Indianerin, und tatsächlich wird in der Familie gemunkelt, es habe auf väterlicher Seite in der Vergangenheit die eine oder andere Liebelei zwischen Herrschaft und Personal gegeben. Aber genauso gut ist es möglich, dass ihr stets hilfsbereiter und empathischer Charakter sie einfach nur dazu veranlasst hat, sich mit diesem wohl am meisten benachteiligten Teil des argentinischen Volkes zu identifizieren.
    Wenn die Vernunft das Leben bestimmen würde, dann hätten die Eltern von Martha Argerich einander nie begegnen dürfen, so diametral entgegengesetzt waren ihre Persönlichkeiten. Jeweils Anführer der gegnerischen Studentenpartei an der Universität, begannen Juanita und Juan Manuel ihre Beziehung als Kontrahenten

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