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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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in Ordnung?«
    Teresa hatte die Augen weit aufgerissen, Mark nickte und war kreidebleich. Tante Martha zitterte am ganzen Körper, nickte aber auch.
    »Was war das?«, fragte Mark. »Hast du jemanden überfahren?«
    Tante Martha öffnete ihr Fenster. »Ein Reh«, sagte sie. »Ein Reh ist uns vors Auto gelaufen.«
    Teresa fing an zu schluchzen, und Mark tätschelte ihr unbeholfen den Arm. Bernd stieg aus.
    Neben dem Auto lag ein riesiges Reh, unter dem sich eine kleine Blutlache bildete.
    »Das arme Reh«, stieß Teresa zwischen zwei Schluchzern hervor. »Du sollst Tieren nicht weh tun!«
    »Blödes Vieh«, sagte Mark. »Ist es tot?«
    »Natürlich ist es tot.« Karen stieg ebenfalls aus. »Wir sollten es von der Straße ziehen«, meinte sie zu Bernd, der den Schaden am Auto inspizierte.
    »So ein Mist«, fluchte Bernd. Die Motorhaube hatte eine Delle, und Lampensplitter lagen auf dem Boden.
    »Müssen wir den Unfall melden?«, fragte Karen unsicher. »Ist das …« Sie zögerte. »Ist das irgendwie strafbar?« Das fehlte ihr gerade noch zu ihrem Glück, verschwitzt, staubig und hungrig auf einem englischen Polizeirevier herumsitzen und sich gegen eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung verteidigen zu müssen.
    »Keine Ahnung«, sagte Bernd und beugte sich über das Reh. Auf einmal machte das totgeglaubte Tier einen Satz und versetzte Bernd einen Tritt an die Schulter. Mit einem Aufschrei fiel er zu Boden, wo das Reh, strauchelnd und in Todesangst, nach allen Seiten trat und strampelte. Bernd versuchte, sich zur Seite zu rollen, und Karen streckte sinnloserweise ihre Hand aus. Sie stand viel zu weit weg, fühlte sich wie gelähmt, wie versteinert, zum hilflosen Zusehen verdonnert.
    »Bernd!«, rief sie. In diesem Moment nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, wie Tante Martha in der offenen Kühlbox neben sich nach einer vollen Glasflasche griff und sie in Richtung Reh warf. Die Flasche zerschmetterte am Kopf des Tieres, und es sackte tot in sich zusammen.
    Bernd lag neben dem Auto auf dem Bauch und sah sich verwundert um. Karen und Mark starrten Martha sprachlos an.
    »Sie hat es gekillt. Ich fasse es nicht«, flüsterte Mark. »Das muss ich gleich Tommy simsen.«
    »Alles in Ordnung, Bernd?« Karen ging auf ihn zu. Vergessen war ihre Wut über das Theater am Steuer, über seine Fresssucht und die Tatsache, dass es gefühlte drei Jahre her war, seit er ihr das letzte Mal ein Kompliment gemacht hatte. Da war nur noch ihr Bernd, der blutverschmiert auf dem Boden lag. »Hast du dich verletzt?«
    »Geht schon, geht schon.« Bernd rappelte sich hoch und hielt sich dabei den Arm. Er verzog schmerzhaft das Gesicht.
    »Ist dein Arm etwa gebrochen?«
    »Nee, nur verstaucht, glaube ich.«
    »Armes kleines Reh.« Teresa näherte sich dem leblosen braunen Tier.
    »Weg da!« Karen hielt sie zurück. »Mark, du hilfst mir, es von der Straße zu ziehen. Martha?« Sie sah sich um. Martha rieb sich gerade Hände und Gesicht mit einem Erfrischungstuch ab. »Martha, du bleibst mit Teresa auf der Rückbank. Das Kind hat schon genug gesehen.«
    »Aber das arme Reh.« Teresa stampfte trotzig mit dem Fuß auf. In ihren Augen schimmerten immer noch Tränen, und ihre Zöpfchen lösten sich auf.
    Karen drückte ihre Tochter an sich. »Das arme Reh ist jetzt im Rehhimmel. Tante Martha hat es von seinen Qualen erlöst.«
    Teresa schniefte kurz, schaute dann aber tapfer und ging zu Tante Martha.
    »Komm, ich zeig dir was Schönes.« Die alte Dame zwinkerte dem kleinen Mädchen zu, und die beiden kletterten zurück in den Wagen.
    »Setz du dich doch auch ins Auto«, sagte Karen zu Bernd.
    »Nichts da. Ich helfe euch. Das kann der Junge doch nicht alleine.«
    »Schönen Dank auch, Dad.« Mark rollte mit den Augen.
    »Wartet mal kurz.« Bernd öffnete den Kofferraum und holte Latexhandschuhe aus dem Verbandskasten. Er schloss die Heckklappe und gab auch Karen und Mark ein Paar Handschuhe. Nachdem sie sie angezogen hatten, griff Karen nach dem schmalen Huf des Tieres und zog daran. Das Vieh war schwer, verflucht schwer, wahrscheinlich schwerer als ein Mensch.
    »Lass mich mal ran.« Bernd schob sie zur Seite. Er versuchte ebenfalls sein Glück. Es bewegte sich immer noch nicht. »Ihr müsst von der anderen Seite schieben«, schnaufte er. Karen sah sich schnell um, ob von irgendwoher ein Auto kam. Nichts war zu sehen, Gott sei Dank. Irgendwie wirkten sie mit ihren Latexhandschuhen wie Leute von der Spurensicherung, oder wie Mitglieder der ukrainischen

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