Martha im Gepaeck
Frühstück nicht einmal ansatzweise hätte vorstellen können. So was würde Bettina bei ihrer Hot-Stone-Massage nie erleben. Und wenigstens konnte Mike sie nicht so sehen. Bei Bernd war das ja egal. Der verzog gerade den Mund zu einem vorsichtigen Lachen. Wahrscheinlich, weil die Haut um seinen Mund herum so spannte.
»Lasst uns reingehen.« Bernd griff mit seiner gesunden Hand nach Karens Kosmetiktasche und Teresas unförmigem Schlafschwein. Dann räusperte er sich. »Danke, Martha. Danke, dass du den Van gestoppt hast.«
Karen schenkte ihm ein Lächeln. Und danke, Martha, dass du dem armen Reh den Garaus gemacht hast, fügte sie in Gedanken hinzu. Und wie flott Martha Teresa mit diesem Papierding abgelenkt hatte. Krankheiten hatte sie auch noch mit keiner Silbe erwähnt. Karen beschloss spontan, etwas mehr Rücksicht auf die alte Dame zu nehmen. »Mark«, rief sie. »Du trägst dann bitte noch Marthas Koffer ins Haus.«
Nachdem ihnen Mrs Collins, die nette ältere Wirtin des Woodland House, versichert hatte, dass es in England schon seit hundert Jahren keine Tollwutfälle mehr gegeben hatte, und Bernd angeboten hatte, dass er trotzdem gern morgen bei ihrem Bruder, der Hausarzt im Dorf war, vorbeischauen und sich bei dieser Gelegenheit gleich von ihrem Schwager den Blinker reparieren lassen könnte, war Karen in einen koma-ähnlichen Schlaf gefallen, aus dem sie am nächsten Morgen nur mit Mühe wieder erwachte.
»Mama!« Teresa rüttelte an ihrem Arm.
Karen schnappte nach Luft und blinzelte. »Hm?«
»Mama, guck mal, da draußen!«
»Was denn, mein Schatz?« Karen richtete sich verschlafen auf. Sie fummelte nach ihrer Armbanduhr, die auf dem Nachttisch neben der mit Rüschen bezogenen Lampe lag. »Wie spät ist es denn? Wo ist Papa?«
»Draußen bei Tante Martha. Bei dem dicken Mann.«
»Welcher dicke Mann?« Karen war plötzlich hellwach.
»Die Frau von dem dicken Mann hat das Auto kaputtgemacht. Jetzt schimpft er mit ihr.«
Das Auto? Etwa den Van? Noch mehr kaputt? Karen rappelte sich auf und folgte ihrer Tochter zum offenen Fenster. Dort bot sich ihr ein Bild, bei dem sie sofort gute Laune bekam. Herr Belzer aus dem Vogtland stand fassungslos vor seinem VW , der an der rechten Seite eine enorme Delle aufwies. Seine Frau stand daneben und gestikulierte wild. Die obersten Knöpfe ihrer Bluse waren aufgesprungen und gaben den Blick auf einen gelblichen BH frei, aber sie merkte es nicht.
»Wie kann denn so was passieren?«, schrie Herr Belzer gerade. »Du solltest doch nur aus der Parklücke fahren!«
Auf der Straße hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet, der besorgt und gleichzeitig amüsiert die Szene beobachtete. Der Milchmann hatte zwei Häuser weiter vorn angehalten und sortierte zum wiederholten Male die Kisten auf seinem Wagen hin und her. Neugierig sah er herüber.
»Als ob dir das noch nie passiert wäre«, schrie Frau Belzer zurück. »Du fährst doch dauernd deine Autos zu Schrott.«
Ein paar englische Schuljungen in Uniform kamen vorbei und blieben interessiert stehen. Als Herr Belzer seinem Auto einen wütenden Tritt verpasste, grölten sie vor Begeisterung.
»Na, Herr Belzer«, ertönte da plötzlich Marthas Stimme von draußen. »Probleme mit dem Linksverkehr gehabt?«
Karen trat entsetzt einen Schritt zurück. Diese Frau war einfach unglaublich. Sie hörte nicht, was Herr Belzer darauf antwortete. Doch dafür hörte sie Marthas nächsten Satz: »Na, wir wollen Sie auch nicht aufhalten, wir müssen heute dringend weiter, nach Schottland.«
Karen beugte sich nun doch aus dem Fenster. »Martha, wir fahren heute noch nicht nach Schottland. Wir fahren erst mal gemütlich nach Cambridge und machen dort zwei Tage halt.«
»Oh nein, meine Gute«, kam es von Martha zurück. Karen bemerkte, dass sie heute ein kariertes Schultertuch trug. In denselben Farben wie ihr Rock gestern. Wieso auf einmal diese penetrante Vorliebe für Karos? Zu Hause trug Martha zwar meist ziemlich exzentrische Outfits, aber Karos waren noch nie aufgetaucht.
»Sobald Bernd beim Arzt und das Auto in der Werkstatt war, fahren wir nach Schottland weiter. Es ist dringend.«
»Dringend.« Karen lachte gutmütig, aber auch ein bisschen besorgt. Ging dieser Irrsinn schon wieder los?
»Dringend. Wir müssen zum Glen Manor, in der Nähe vom Loch Ness.«
»Glen Manor?«
»Du sagst es. Dort habe ich was zu erledigen.«
»Also, Martha, ich bitte dich. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Wir schmeißen doch
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