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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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und die verbrecherische Zuflucht zum Massentotschlag abgeschnitten. Wie die Dinge heute stehen, werden in jedem Parlament neue Militärkredite gefordert und wir werden von der Presse zur Bewilligung gepeitscht. Anders wäre es, wenn wir antworten könnten: Die Gefahren, gegen die die verlangten Rüstungen uns schützen sollen, würden durch das von uns verlangte Tribunal beseitigt. Darum soll ein Projekt ausgearbeitet werden, das wir den Regierungen vorlegen könnten.«
    Mit großer Genugtuung hörte Rudolf diesen Worten zu. So war denn die Bewegung vom Gebiet der Theorie in die Wege der Praxis geleitet. Gespannt folgte er der an Stanhopes Antrag sich knüpfenden Diskussion. Vorerst der allen großen Initiativen gegenüber – wie es scheint – unvermeidliche Hemmversuch: »Es sei für die Mitglieder der Konferenz nötig,« sagte ein Opponent, »nur greifbare, ausführbare Anträge zum Beschluß zu erheben, welche in den verschiedenen Parlamenten mit einiger Wahrscheinlichkeit der Annahme vorgelegt werden könnten; nun würde aber Herr von Caprivi sicher nie den Vorschlag eines internationalen Tribunales in Erwägung ziehen, – auch müsse man vermeiden, durch derlei Pläne den Fluch der Lächerlichkeit auf sich zu ziehen; die Gegner seien nur allzusehr geneigt, die Konferenzbesucher als Träumer zu verspotten.«
    »Ach,« bemerkte Rudolf halblaut zu seinem Galerienachbar: »Die Rücksicht auf das Lachen der Toren würde alles Vorschreiten der Weisheit hindern.«
    Dem Opponenten wird aber entgegen getreten. Houseau de Lehaie spricht für die Vorlage und sagt, daß angesichts so großer Gesinnungen wie die soeben hier entwickelten, angesichts der Begründung einer Sache durch Männer wie Stanhope und Gladstone das Wort »lächerlich« überhaupt nicht mehr ausgesprochen werden darf. – Lauter Beifall. – Noch ein zweiter erhebt sich für den Vorschlag: der ehrwürdige Frederic Passy. »Gegen ein anderes vorhin angewendetes Wort will ich protestieren,« sagte er – »das Wort nie . Es ist noch gar kein großer Fortschritt, gar nichts neues überhaupt zur Geltung gekommen, von dem nicht anfänglich behauptet worden wäre, es könne nie geschehen. Daß z. B. Parlamentarier aus allen Ländern zusammentreten, um über Weltfrieden zu verhandeln, daß sie dies im Sitzungssaale der ersten Kammer eines monarchischen Staates tun werden ... wie viele hätten auf die Frage, wann solches sich zutragen könne, nicht geantwortet: Nie!«
    Den Verlauf dieser Verhandlung hatte Rudolf stenographiert und seiner Mutter geschickt. Er schrieb dazu:
    »Hier hast Du etwas für Dein »Protokoll«. Hätte Tilling das erlebt! Der Plan wird ausgearbeitet und an alle Regierungen verschickt werden. Nach und nach inkarniert sich doch das Wort. Diesmal stammt es ja von einem Regierungsleiter. Ein Beweis, daß auch schon in den Regionen, wo man kann, der Wille erwacht, der bisher nur in den Regionen, wo man wünscht, ein dunkles, verlachtes Dasein führte. – Freilich gerade jetzt tobt im fernen Osten wieder ein grausamer Krieg (hast Du die haarsträubenden Chroniken aus Port Arthur gelesen?) – würde Europa da doch Einhalt gebieten! ... Aber war es nicht Europa, das den Chinesen und den Japanern das Kriegshandwerk gelehrt und sie mit den modernsten Waffen ausgerüstet hat! Das alte System treibt eben überall seine Früchte. Doch das neue bereitet sich unablässig vor – für die Massen unsichtbar, für uns Kundige sichtbar vor.«
    Die geplante Vortragsreise, die durch das Unglück seiner Schwester, das ihn nach Wien zurückberufen hatte, unterblieben war, hatte Rudolf später dennoch ausgeführt. Ob er dadurch viele Adepten gemacht, war ihm zweifelhaft, daß er sich aber in seinen Ansichten gefestigt und seinen Gedankenhorizont erweitert hatte, dessen war er sich deutlich bewußt.
    Neben der lebendigen Anregung, die er in der persönlichen Berührung mit den führenden Geistern unter den Zeitgenossen fand, vertiefte er sich auch in deren Schriften und verfolgte überhaupt alles, was von neuen wissenschaftlichen und dichterischen Erscheinungen die Welt bewegte. Dennoch: bei all diesem leidenschaftlichen Interesse an dem Gang der Welt, bei dem Eifer, mit dem er selber suchte, zur allgemeinen Kulturarbeit sein Scherflein beizutragen, erfaßte ihn manchmal ein Gefühl von Einsamkeit und Lebensleere. Das waren Anfälle, die zuerst nur selten sich einstellten und schnell verflogen, dann aber in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrten und

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