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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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geworden sein: tägliche Frühmessen, Paramentensticken, Sammlung für Kirchenbaufonds, Protektion katholischer Vereine, Unterstützung der Missionen, Verkehr mit dem hohen Klerus usw. Den Tod ihrer Tochter und ihres Enkels betrachtet sie – so sagte sie neulich einem gemeinsamen Freunde – als ein göttliches Strafgericht für die Familie Dotzky, weil die Dotzkys nicht von echter Gläubigkeit durchdrungen sind. Nun ja – es war ein harter Schlag für die Arme. Möge auch sie in ihrer Religion Trost und Stütze finden ... Vorausgesetzt, daß dieses fromme Gehaben nicht nur das Mitmachen einer eleganten Mode ist; denn es wird ja in unseren Kreisen täglich mehr und mehr als bon ton betrachtet, sich recht kirchlich zu zeigen – nach dem von oben gegebenen Beispiel
    Hier in Grumitz leben wir drei Frauen äußerst still und freuen uns nur der sommerlichen Natur – »es ist die Zeit der Rosenpracht«. Wir drei, sagte ich. Cajetan Ranegg ist nämlich mein Gast. Ich bin ihr unendlich dankbar dafür, denn ihre Gesellschaft ist für meine traurige Sylvia eine Wohltat, ein wahrer Segen. Cajetane ist jung – und obwohl sie auch einen Herzenskummer hat – heiterer, sonniger Gemütsart. Das ist ein Umgang, der für meine Rekonvaleszentin doch viel ersprießlicher ist, als der einer selber leidenden und wahrlich recht gedrückten alten Frau.
    Nicht, daß ich mich gar so alt fühlte ... Aber in den Augen junger Leute ... Es muß ein Naturgesetz sein, daß der Jugend wieder nur Jugend als vollgültig erscheint. – Ob meine Freundin Ranegg damit einverstanden ist, daß ihre Tochter hierher kam und sich der meinen so sehr angeschlossen hat, weiß ich nicht. Die Scheidung, die Duellaffäre, die auf Bressers Tod folgende »Nervenkrankheit«: alles das sind Dinge, die einer so korrekten Frau wie Gräfin Ranegg gewiß Skrupel einflößen; dagegen ist diese Frau doch auch wieder viel zu weitherzig, um etwa ihrer Tochter verbieten zu wollen, uns beide mit ihrer lieben Nähe zu trösten. Auch mir ist Cajetane eine wahre Aufrichtung. Ich liebe sie einfach. Und sie mich – das fühl' ich genau. Wenn ich auch weiß, daß ich ihr nur per procura teuer bin, das tut nichts. Im Gegenteil: ich bin ihr dankbar für das, was sie für meinen Sohn empfindet. Ich kann mit ihr über seine Pläne sprechen – sie folgt mit liebevollstem Verständnis. Von ihm erscheint ihr alles erhaben und schön. Vielleicht würde sie, wenn er das Gegenteil von dem verträte, was er vertritt, dies ebenso bewundern – ich weiß es nicht; aber es tut mir wohl, zu wissen, daß für meinen einsamen Rudolf ein so liebendes Herz schlägt ... Wer weiß, wenn ihn einst die Einsamkeit, die Heimlosigkeit drückt, so wird er – – Lachen Sie mich nicht aus, Kolnos, daß ich mich so als Heiratsstifterin entpuppe ... man kann nicht ungestraft so glücklich in der Ehe gewesen sein, wie ich es war – genug, dieser Brief ist ungebührlich lang geworden. Auf Wiedersehen – ich rechne auf Ihren Besuch.

XXXIV.
    Rudolf hatte sich von den Erschütterungen wieder erholt, die er durch den unliebsamen Wirtshausabend und wenige Tage darauf durch die unglücklichen Ereignisse im Hause Delnitzky erlitten hatte. Nun war seine Schwester wieder auf dem Wege der Genesung, und manche erhebende Eindrücke und Erfahrungen auf sozialem Gebiet hatten die deprimierenden Eindrücke jener Wiener Vorstadtepisode wett gemacht. Daß in einer Kampf- und Übergangsepoche, wie die, in der er lebte, zwei Weltanschauungen – mehr noch, zwei Weltordnungen miteinander ringen, an manchen Orten und durch einige Zeit die rückständige Sache Siege feiert, das darf einen, der auf der andern Seite kämpft, nicht entmutigen; das darf ihn vor allem den Blick nicht trüben für die Siegesanzeichen im eigenen Lager. Es kommt nur darauf an, wohin man den aufmerksamen Blick wendet. Und in letzter Zeit hatte Rudolf Gelegenheit gesucht und gefunden, die lichtvollen Phasen der sozialen Entwicklung zu beobachten und sich mit den Dingen und Personen zu beschäftigen, die dem Eintritt einer neuen Ära vorarbeiten.
    Was auf der anderen Seite noch so stark vorherrscht: das Elend in den unteren Schichten – Unwissenheit und Lasterhaftigkeit – verteilt in allen Schichten, – die aufgestachelten Verfolgungsgelüste der Nationen und Rassen, die Verherrlichung des Gewaltprinzips in den machthabenden Sphären –, das alles übersah er nicht. Doch er fühlte darüber hinweg den Hauch des neuen Geistes. Des Geistes, der

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