Martha's Kinder
würde. Es ist ja nun vorüber, Gott sei Dank – also kann ich's sagen. In der Stunde, die ihr den Geliebten ihres Herzens entriß, ist meine arme Sylvia in so wahnsinnige Verzweiflung verfallen – daß die anderen es kurzweg Wahnsinn nannten; sie mußte in eins Nervenheilanstalt gebracht werden, wo man sie durch sechs Monate unter strengster Bewachung hielt, denn sie versuchte es mehr als einmal, zum Fenster hinauszuspringen, oder den Kopf an die Mauer zu schlagen. Nicht als bewußten Selbstmordversuch, sondern in Fieberdelirien. Nach und nach wich die Umnachtung ihres Geistes und die Schmerzparoxismen machten einer sanfteren Schwermut Platz; stundenlang weinte sie an meiner Brust – ich besuchte sie natürlich täglich. Nach weiteren zwei Monaten konnte die Anstalt sie als geheilt entlassen und seither lebt sie bei mir. Immer noch tief melancholisch. Aber, sie ist ja noch jung, ich rechne auf die Heilkraft der Zeit; vielleicht bietet ihr das Schicksal doch noch Trost ...
Die Scheidung ihrer Ehe ist vollzogen. Leider in einer Weise, als hätte nur sie alle Schuld. Anton hat vor kurzem seine Sängerin zur Gräfin Delnitzky gemacht. Diese hat das Theater verlassen und die beiden leben in dem Landhaus, das Anton ihr schon vor Jahren geschenkt.
Und Rudolf? Diese Frage hätten Sie jetzt sicher an mich gestellt, wenn ich Ihnen alles obige mündlich erzählt hätte; denn Sie wissen ja, daß in meinen Gedanken und Sorgen stets meine beiden Kinder den gleichen Platz einnehmen. Sie lesen überhaupt in meiner Seele, Kolnos, und haben mich immer so gut verstanden, – selbst damals, als Sie einem kurzen Irrtum sich hingegeben hatten – haben Sie schnell begriffen, warum es nicht sein konnte ... doch davon reden wir eigentlich niemals. Verzeihen Sie, daß ich da an einer Erinnerung rührte, die Ihnen vielleicht peinlich ist ... mir gehört sie eben zu den lieben Erinnerungen ...
Also Rudolf? Er war am Vorabend jenes Duells von Wien abgereist und erfuhr davon erst nach einigen Tagen durch die Blätter. Vom Zustande Sylvias wußte er nichts. Ich wollte ihn nicht benachrichtigen, weil ich wußte, das er eingegangene Verpflichtungen erfüllen mußte und ich wollte ihm diese Aufgabe nicht erschweren. Aber von anderer Seite erhielt er Mitteilung: da löste er seine Engagements und eilte zu mir. Der Mutter und der Schwester in Unglück und Bedrängnis beizustehen: das erkannte er als seine nächste Pflicht. – Und wahrlich, seine Nähe hat mir wohlgetan.
Noch ein anderes liebes Wesen hat sich um mich bemüht – so viel Trost und Aufrichtung als möglich zu bringen getrachtet: Cajetane Ranegg. So oft ich allein war, kam sie zu mir; nur wenn Rudolf mir Gesellschaft leistete, ging sie fort. Sogar in auffallender Weise; sie mied ihn, so gut sie konnte. Daß sie ihn lieb hat, weiß ich schon lange ... ich habe es Ihnen ja auch gesagt, und meinen Wunsch dazu, daß er sie heimführe, aber er will von Wiederverheiratung nichts hören.
Als Sylvia vollständig genesen war, übersiedelten wir nach meinem alten Grumitz, dem ich für Brunnhof untreu geworden war. Ach, wie ist der Ort so bevölkert von den Gespenstern meiner Jugend ... Rudolf brachte mich hierher und reiste dann wieder ab – er mußte das Versäumte nachholen. Was er tut und denkt und plant – das erzähle ich Ihnen mündlich. Ich bin ja noch immer mit ganzer Seele bei den großen Aufgaben, die mein Gatte hinterlassen und mein Sohn übernommen hat. So sehr der eigene Kummer – um meine unglückliche Sylvia – mich auch bedrückt, so sehr ich selber leidend war, alle diese Sachen haben mein Herz stark hergenommen (Herz nicht im bildlichen Sinne, sondern als Organ), und meine Gesundheit ist arg erschüttert – so habe ich doch nie aufgehört, für jene Ideale – die meine Religion sind – zu sinnen und zu sorgen. Im Unglück flüchtet ja jeder zu seiner Religion.
Was soll ich Ihnen noch erzählen? Max und Elisabeth Dotzky, die seelenvergnügt auf Brunnhof residieren (ob Rudolf da nicht übereilt gehandelt hat? ... er wollte Ketten abstreifen, und doch: wie viele schleppt er noch hinter sich!) also diese beiden glücklichen Leutchen haben – pour comble – auch noch einen Thronerben bekommen – – Armes, kleines Fritzi ... es war ein gar so lieber Bub'! Auch etwas, was ich nie recht verschmerzen kann. In der »Kunst, Großmutter zu sein«, war ich eine so frohe Künstlerin ...
Von Lori Griesbach höre ich schon lange nichts. Sie soll eine große Betschwester
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