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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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bedrohliche Form eines Erstickungsanfalles gezeigt.«
    »Aber was sagt der Doktor?«
    »Daß man mit einem Herzübel – bei richtiger Schonung und Behandlung – achtzig Jahre alt werden kann. Das sagte nämlich der Arzt, den wir aus Wien riefen; der hiesige, der den Anfall gesehen, war sehr erschrocken, und auf seine Weisung hin habe ich Dir telegraphiert.«
    Sylvia, während sie sprach, hatte sich in Rudolf eingehängt. Jetzt erst bemerkte er, wie elend die junge Frau aussah, blaß und abgemagert, und welch rührender Schmerzenszug auf ihren – dabei doch immer – schönen Gesichte lag.
    »Bist Du auch krank, Sylvia?« fragte er teilnahmsvoll.
    »Nein, nur unglücklich.«
    »Kannst Du Dich nicht trösten?«
    »Nie.«
    Rudolf schwieg. Er wollte den banalen Trost nicht vorbringen, daß die Zeit solche Wunden heilt. Wer einen teuern Gram nährt, empfindet solche Trostversuche beinah als Beleidigung, das wußte er, da gab es nichts anderes, als in der Tat die Zeit wirken zu lassen – die große Zerstörerin, die ja alles verlöscht – zum Glück auch das Unglücklichsein.
    »Weißt Du,« sagte Sylvia nach einer Weile, »wer es am besten versteht – ich will nicht sagen, mich zu trösten, aber mein Leid zu teilen, zu verklären, oder gar auf Augenblicke vergessen zu machen? Hier, unsere liebe Caji –«
    Sie waren vor dem Schloßtor angelangt.
    »Komm, jetzt führe ich Dich zu unserer Mutter – sie erwartet Dich.«

XXXV.
    Martha Tilling hatte ihr Ruhebett zur offenen Balkontür schieben lassen, und hier lag sie, mit Kissen unter dem Kopf und einer Decke über dem Schoß. Von ihrem letzten Anfalle war ihr eine große Mattigkeit geblieben, und trotz der Sonnenwärme fröstelte es sie.
    Rudolf trat herein und eilte auf das Lager zu:
    »Mutter! Liebste!«
    Er hatte sich neben sie gekniet und sie drückte seinen Kopf an ihre Brust.
    »Mein Rudolf ... wie freu' ich mich, daß Du da bist ... und daß ich – nicht fort bin.
    »Du wirst bald wieder ganz gesund sein.«
    »Möglich ... Wollen's hoffen ... obgleich – – nein, fürchterlich wäre es mir gewesen, wenn ich so plötzlich, ohne Dich noch einmal zu sehen ... das war mir das Schmerzlichste bei meinem Anfall – wie ich glaubte, daß es schon aus sei und Du so weit weg ...«
    »Jetzt bleibe ich bei Dir, bis zu Deiner vollen Genesung –«
    »Oder bis zu meinem – nein, denken wir nicht daran ... ich bin so froh, daß Du gekommen bist. Wir werden uns ja viel zu erzählen haben.«
    Als Rudolf einige Stunden später sich in seinem Zimmer umgezogen hatte und in das Speisezimmer zum Diner hinabging, fand er da außer Sylvia und Cajetane den Grafen Kolnos, der seit einigen Wochen Marthas Gast in Grumitz war. Der junge Mann empfand eine aufrichtige Freude, den älteren Freund hier zu treffen; auch wußte er, wie seine Mutter Kolnos schätzte und daß es ihr lieb sein werde, während ihrer Rekonvaleszenz dessen Gesellschaft zu genießen. Er war fest überzeugt, daß sie bald wieder hergestellt sein würde. Die Angst, sie nicht mehr zu finden, war so schmerzlich gewesen, daß die darauf folgende Freude eine umso intensivere war und nun keine neue Angst mehr aufkommen ließ; – die Nähe des schönen Mädchens – der Schreiberin der anonymen Briefe, das wußte er längst – trug auch dazu bei, seine Stimmung zu heben; und in wirklich froher Laune nahm er an der kleinen Tafelrunde Platz. Vergessen und verscheucht alle seine eigenen Kampfsorgen – nur ein eigentümliches Gefühl von Herzensbehaglichkeit erfüllte ihn.
    Dieses Grumitzer Speisezimmer, wie weckte das auch so freundliche Kindheitserinnerungen in ihm! Es war noch alles so wie vor dreißig Jahren: dieselben Bilder, Frucht und Wildstücke – an den Wänden: dieselbe große silberzeuggeschmückte Kredenz aus geschnitztem Eichenholz – diese unheimlichen Vögel Greif mit den herabhängenden Flügeln und wie zum Schnappen offenen Schnäbeln, die hatten ihm stets einen ganz besonderen Eindruck gemacht – und wie einem manchmal eine schwache Erinnerung an einen Duft, an einen Geschmack durchzuckt, so durchzuckte ihn jetzt eine Mahnung an jene damals so starke Vogel-Greif-Sensation; und andere Bilder daneben; wenn der kleine Junge zum Dessert hereingeführt wurde, da nahm ihn Großpapa Althaus auf den Schoß und gab ihm eine Frucht oder ein Bonbon; er sah noch den struppigen weißen Schnurrbart, den lose aufgeknöpften blauen Generalsrock ...
    Alle diese Vergangenheits-Erinnerungen erhöhten die Behaglichkeit

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