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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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berufen war, diese Dinge zu überwinden. Sie gelten ja nicht mehr allgemein als unabänderliche Tatsachen, mit denen man sich abfinden muß, sondern als zu lösende Probleme und allenthalben waren Kräfte an der Arbeit, die Lösungen herbeizuführen. Bewußte Kräfte neben den unbewußten.
    Der alte Jammer war noch lange nicht gebannt, aber die Kulturmenschheit hat ihm sozusagen gekündigt, ihm das Dienstverhältnis aufgesagt.
    Was Rudolf am meisten anspornte und in gehobene Stimmung versetzte, war der persönliche Verkehr mit Gesinnungsgenossen. Darin fand er den positiven Trost, daß eine ganze Phalanx von Geistern demselben Ziele zusteuert, das er winken sah; er war also kein vereinzelter Träumer, kein allzuverfrühter Herold. Schon lange hatte er mit den Führern der verschiedenen fortschreitenden Ideen in brieflichem Verkehr gestanden; jetzt hatte er sie selber aufgesucht, um im lebendigem Gedanken- und Gefühlsaustausch mit ihnen die eigene Zuversicht zu stärken. Er war nach Berlin gefahren, um sich Moritz von Egidy vorzustellen, und hatte sich dort nicht nur an den öffentlichen – von einer Zuhörerschaft von Tausenden bejubelten Vorträgen, sondern auch an dem intimen Umgang des herrlichen Menschen erlabt.
    Er eilte dann nach England. Das war nicht nur eine Wallfahrt zu Herbert Spencer, dessen Werke die Grundlagen zu seinem eigenen Denken gebildet, sondern dieses freieste Land Europas, mit seiner Immunität gegen den festländischen Militarismus, erschien ihm als der eigentliche Hort des Friedensgedankens, wie es ja tatsächlich, neben den Vereinigten Staaten Nordamerikas, die Wiege des Friedensgedankens ist. Wenn auch dort wie überall eine Iingopartei existierte und die großen Massen noch nicht von der Idee eines gesicherten Weltfriedens durchdrungen waren, so bot England damals die sonst nirgends existierende Tatsache, daß die Regierung – in der Person ihres zum viertenmal als solchen fungierenden Premier – das Prinzip des Völkerschiedsgerichts vertrat. Daß wenige Jahre später gerade in diesem Lande der Kriegsgeist am heftigsten aufflackern, die Gladstones Prinzipien gründlich abgeschworen würden – das sah Rudolf freilich nicht voraus.
    Auch zu dem »grande old man « wallfahrtete er. Als er ihn besuchte, war ein Freund des Meisters in dessen Arbeitszimmer anwesend: Unterhausmitglied Philipp Stanhope – jüngerer Bruder Lord Chersterfields – auch ein Friedenskämpfer und Mitglied der Interparlamentarischen Union. Das Gespräch fiel auf die nächste Konferenz dieser Union, die in diesem Jahre – 1894 – im Saale der ersten Kammer der holländischen Generalstaaten zusammen treten sollte.
    »Ich habe meinem Freund Stanhope eine Mission für diese Konferenz gegeben,« sagte Gladstone. »Schon im Vorjahre,« fügte er hinzu, »habe ich im Parlament es ausgesprochen – anläßlich des Antrages Cremers und Sir John Lubbods einen ständigen Schiedsgerichtsvertrag mit den Vereinigten Staaten abzuschließen. Ich habe den Antrag unterstützt; habe aber hinzugesetzt, daß so wertvoll die abgegebenen Erklärungen zu gunsten der Arbitrage und gegen die übertriebenen Rüstungen auch seien, es noch ein anderes Mittel gibt, vorzugehen, auf welches ich einen besonderen Wert lege, das ist: die Gründung eines Tribunals zu provozieren – eines Zentral-Tribunals Europas, eines hohen Rats der Mächte. Mein Freund Stanhope wird diese Idee vor der Konferenz weiter ausführen.«
    Im folgenden September wohnte Rudolf im Haag dieser Konferenz bei, nicht als Teilnehmer, sondern als Zuhörer.
    Zu Punkt drei der Tagesordnung »Vorbereitung eines Organisationsplanes eines internationalen Schiedsgerichtstribunals« führte der Referent, Mr. Stanhope, Gladstones Worte über das »europäische Zentraltibunal«, über den »hohen Rat der Mächte« an und fuhr fort:
»Unsere Aufgabe ist es nun, diese Forderung mutig vor die Regierungen zu bringen. Alles, was bis jetzt an sogenanntem Völkerrechte besteht, ist ohne eigentliche Grundlage gewesen, auf Zufälle, auf Präzedenzfälle, auf Entscheidungen von Fürsten aufgebaut. Daher ist das Völkerrecht diejenige Wissenschaft, welche die wenigsten Fortschritte gemacht – eine widerspruchsvolle Anhäufung von vagen Papiermassen. Zwei große Notwendigkeiten liegen vor den zivilisierten Völkern: Ein internationales Tribunal und ein Kodex, der dem modernen Geist entspricht und sich elastisch den neuen Fortschritten fügen konnte. Damit wäre der Triumph der Kultur erreicht

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