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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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immer länger anhielten. Es war, wenn es kam, eine dumpfe, beengte, schwermütige Stimmung – etwas aussichts- und hoffnungsloses – ganz und gar heimatloses. – Der Anspruch an persönliches Glück, der sich in jedem Geschöpfe regt (auch beim entsagungsvollsten Asketen, der ja die ewige Seligkeit erstrebt), der machte sich fühlbar durch unbestimmtes Sehnen, durch quälende Selbstvorwürfe. Als ob ein zweites Ich in ihm wäre, das dem andern bitter zurief: Was gibst Du alles für die undankbare Mitwelt hin – wie sorgst Du für die ungeborenen Geschlechter, und wie vergissest Du dabei mich und meine Rechte ... bin ich denn der Garniemand?
    Am besten wurde Rudolf den inneren Nörgler los, wenn er sich unter Mitstrebende mengte. Und so folgte er gern der Einladung, der interparlamentarischen Konferenz beizuwohnen, welche im August 1895 in Brüssel tagte, und wo das Projekt, das in der vorherigen Konferenz angeregt worden, fertig vorgelegt werden sollte.
    Zum ersten Male war in dieser Körperschaft das Königreich Ungarn vertreten und zwar, in glänzendster Weise, durch seinen berühmtesten Schriftsteller: Maurus Jokai und seinen größten politischen Redner: Graf Albert Apponyi.
    Der Entwurf zur Einsetzung und Organisation eines ständigen internationalen Schiedsgerichtshofes – aufgesetzt vom belgischen Senator Chevalier Descamps – fand die Genehmigung der Konferenz und dessen Versendung an alle Regierungen ward beschlossen.
    Eben wollte Rudolf dieses Ergebnis, das ihm sehr verheißungsvoll schien, seiner Mutter schreiben, als er ein Telegramm aus Grumitz erhielt, des Inhalts:
    »Komme sofort. Mutter sehr krank. Sylvia.«
    Mit dem nächsten Zuge fuhr er heimwärts. Die Depesche hatte ihm einen schmerzlichen Schlag versetzt; er argwöhnte, daß das Wort »sehr krank« nur eine schonende Vorbereitung auf das schon eingetroffene Schlimmste war.
    Wie sehr er an seiner Mutter hing, das empfand er jetzt, da er sie verloren wähnte, mit doppelter Klarheit. Einsam hatte er sich oft gefühlt, in letzter Zeit? ... Nun begriff er erst, daß die wahre Vereinsamung erst dann sein Los sein würde, wenn diese Vertraute, mehr noch, diese Eingeberin seines Strebens ihm entrissen wäre.
    Wenn er sie nur noch am Leben fände? ... Wenn er ihr doch noch einmal sagen könnte, wie teuer sie ihm war, und ihr zuschwören, daß er weiter arbeiten wolle an Tillings Mission ...
    Es war eine traurige, bange Reise. Manchmal klammerte er sich an den Gedanken, daß sie ja wieder gesund werden und noch lange leben könne; dann aber sah er sie wieder im Sarge liegen, in die Gruft versenkt – –
    Als er in die Endstation einfuhr, von wo ihn noch eine halbstündige Wagenfahrt von Grumitz trennte, war seine Bangigkeit aufs höchste gesteigert, denn hier mußte er schon erfahren, ob die Schloßherrin noch lebte oder nicht. Er sprang aus dem Waggon – da stand schon ein Grumitzer Diener. »Wie geht es?« fragte er atemlos.
    »Besser, gräfliche Gnaden, besser ... Vorgestern war's der Frau Baronin recht schlecht – aber jetzt, sagt der Doktor, ist's wieder viel besser – bitt', der Wagen ist da.«
    Erleichterten Herzens und voll erneuter Hoffnung, daß dieser Besserung volle Genesung folgen werde, schwang sich Rudolf auf das bereitstehende Kutschierwägelchen und nahm selber die Zügel zur Hand.
    Es war ein prächtiger Sommermittag, warm, sonnig und duftig. Der Weg führte an weiten Feldern vorbei, durch einen hochstämmigen Wald, und hinter diesem kam das Schloß in Sicht, zu dem eine lange Kastanienallee führte.
    In der Allee kamen zwei Frauengestalten dem Wagen entgegen. Rudolf hielt an, warf die Zügel dem Diener zu und sprang vom Bock – schon von weitem hatte er die beiden erkannt: Sylvia und Cajetane.
    Daß letztere in Grumitz sei, hatte er nicht gewußt, und er empfand es als eine angenehme Überraschung, sie zu sehen.
    Sylvia fiel dem Bruder um den Hals:
    »Gott sei Dank, Rudi – es geht viel, viel besser ... sie ist wieder auf. Aber vorgestern, als ich telegraphierte, glaubten wir, es sei das Ende – nicht wahr, Cajetane?«
    Das junge Mädchen nickte bejahend und reichte nun Rudolf die Hand. Es war eine kühle und bebende Hand.
    »Ja,« sagte sie, »es war eine furchtbare Stunde.«
    Sie gingen nun eilends zum Schloß. Dabei ließ Rudolf sich erzählen, was vorgefallen. Es war ein Herzkrampf gewesen; schon der dritte oder vierte seit ein paar Monaten, doch während die früheren ganz leichter Art gewesen, hatte dieser letzte die

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