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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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weither bringen oder auch die logistischen Abläufe verändern – so produzieren die Handwerker nicht mehr nur für sich, für ihren Herrn oder für ihre engere Umgebung, sondern auch für fahrende Händler, denen sie ihre Produkte anvertrauen, die dann wieder Kaufmannskapital akkumulieren und den ganzen Prozeß auf einer erweiterten Grundlage reorganisieren können. Mit einem Wort: Der Grad der Produktivität und die Organisation der Produktion können sich innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse weiterentwickeln, bis diese Verhältnisse anachronistisch werden und die hergebrachte Ordnung mit der neuen Modernität nicht mehr Schritt zu halten vermag. Dann tun sich gesellschaftliche Spannungen, Konflikte auf. Die neuen, dynamischeren Klassen revoltieren gegen die alten, anachronistischen Oberklassen. »Alle Kollisionen der Geschichte haben also nach unserer Auffassung ihren Ursprung in dem Widerspruch zwischen |65| den Produktivkräften und der Verkehrsform«, formuliert Marx (MEAW 1, S. 257).
    Nun hält sich Marx freilich nicht damit auf, die materialistische Analyse nur auf vergangene Epochen anzuwenden – er führt nicht nur eine neue Methode der Geschichtswissenschaft ein, wenngleich die Marxsche Theorie auch die Geschichtsbetrachtung vollkommen revolutionierte, die bisher vor allem eine Geschichte der großen Männer, der Ideen und der elementaren Ereignisse war (oder bestenfalls Geschichte der Institutionen, wie Militär- oder Kirchengeschichte). Die moderne Gesellschaftsgeschichte wäre, ebenso wie die heutige Soziologie, ohne das Marxsche Erbe vollends undenkbar. Seine historisch-materialistische Kritik wendet Marx auf die Gesellschaft, in der er lebt, auf den Kapitalismus selbst an.
    Wir haben bereits gesehen, daß Marx mit der Zerstörung des »Mythos vom Menschen« sich die Möglichkeit genommen hatte, den Kapitalismus von außen zu kritisieren – somit existierte für ihn keine jenseitige Utopie einer ursprünglichen menschlichen Eigentlichkeit mehr, die der kapitalistischen Warenwelt entgegengestellt werden konnte. Dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: die Kritik am Bestehenden aufzugeben oder die Kritik in die Verhältnisse gleichsam hineinzuverlegen. Marx’ Projekt war es fortan nicht, den Kapitalismus anzuklagen, sondern eine
Analyse
vorzutragen, die beweise, daß der Kapitalismus gewissermaßen seine eigene, tätige und praktische
Selbstkritik
immer schon mitliefere.
    Denn wie alle bisherigen Gesellschaftsformationen ist auch die kapitalistische Ordnung nichts als eine jener historischen »Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten |66| Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen« (MEAW 1, S. 503). Solange der Kapitalismus diesem Entwicklungsstand entspricht, wird er existieren, relativ unabhängig vom Willen der in ihm tätigen Individuen. »Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist.« (MEAW 1, S. 503) Daher stelle sich »die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann« (MEAW 1, S. 504). Doch auch diese Produktionsweise werde den Punkt erreichen, wo die Produktivkräfte »un verträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt.« (MEW 23, S. 791) So formuliert Marx es in epigrammatischer Form im »Kapital«, einer seiner Altersschriften, die vorrangig der detaillierten Analyse der ökonomischen Bewegung gewidmet sind. Vorbereitet wird all dies in den vierziger Jahren, in einer ungeheuren Schaffensperiode, die kaum mehr als die vier Jahre zwischen 1844 und 1848 umfaßt.
    Kurzum: Marx wollte nichts weniger als eine Utopie verfertigen. Er war nicht Kommunist, weil er sich den Kommunismus wünschte oder weil er den Kapitalismus moralisch verwerflich gefunden hätte – jedenfalls wäre er sehr unwirsch geworden, hätte man ihm dies unterstellt –, für ihn war die Aufhebung des Privateigentums und die kooperative »Vergesellschaftung« schlicht eine Potenz, ja eine Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft. »Der Kommunismus ist für uns nicht ein
Zustand
, der hergestellt werden soll, ein
Ideal
, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird«, formulierten Marx und Engels in der »Deutschen Ideologie«. »Wir nennen Kommunismus die |67|
wirkliche
Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.« (MEAW 1, S.

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