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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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inspirieren« 54 zu lassen, denn gerechte Gesellschaften |75| wird es ohne »ein Ethos der Gerechtigkeit« nicht geben; um die empörungswürdigsten Umstände zu beseitigen, brauche es »gerade des Sauerteigs der Moral« 55 . Ohnehin, so Cohen, waren alle Vorstellungen, politischer Aktivismus benötige keine Moral, sondern nur Einsicht in historische Notwendigkeiten – und allenfalls ganz praktische Interessen, zu deren Durchsetzung man sich zusammenfindet – immer schon »Prahlerei«, bei allem Vertrauen in die Geschichtsläufe hätten Marx zuvorderst Werte motiviert: »Denn Werte wie Gleichheit, Gemeinschaft und menschliche Selbstverwirklichung waren zweifellos in die Denk- und Argumentationsstrukturen des Marxismus eingelassen.« 56 Jetzt plädiert Cohen für eine Art aufgeklärten Moralismus, »ohne erneut dem Utopismus zu verfallen«. Weltfremd ist es zwar, sich gegen die Wirklichkeit zu stemmen. Aber wenn auch die Welt ihren Lauf nimmt, so kann sie doch verschiedene Richtungen einschlagen. Welche sie wählt, hängt auch von Individuen und ihrer Moral ab, davon, wofür sie sich stark machen. Cohen: »Menschen haben die Möglichkeit, sich zu entscheiden.« 57 Und: »Wir müssen mit den gesellschaftlichen Kräften arbeiten, ohne vielleicht immer die von ihnen bevorzugte Richtung einzuschlagen.« 58 Sein New Yorker Politologen-Kollege Stephen Bronner hat das unlängst so formuliert: Heute lasse sich das Eintreten für sozialistische Werte oder ähnliches »nur noch aus der ethischen Überzeugung rechtfertigen, daß so die Gerechtigkeit befördert werde«. 59
    Gewiß hat Moralismus auch etwas Uncooles. Auch neigen moralisch empörte Aktivisten zum Aktivismus seiner selbst wegen: Sie müssen immer in Bewegung bleiben, |76| Stillstand ist der Tod des Engagements – das finden ruhigere Naturen oft nervtötend, zumal alles mit allem zusammenhängt: Krieg mit geostrategischen Interessen mit Neoliberalismus mit Armut mit Umweltzerstörung und so weiter und so fort. Überall passiert auf dem Globus etwas Deprimierendes. Allzu leicht überschreiten jene, die zum großen J’accuse anheben, den schmalen Grat, der moralischen Pathos vom schlichten Kitsch trennt, und enden in einem krausen Schwadronieren. Doch all dies ist kein Grund für den Affekt gegen ethische Überzeugungen. Die sind nicht weltfremd, sondern Realität, sie haben ihre eigene Macht und sind nicht zu trennen von den Ideen, von der Philosophie, von der Marx sagte, sie »wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift« (MEW 1, S. 18).

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    |88| Die automatische Welt Oder: Der Kapitalismus, ein Theater ohne Autor
    Marx’ Lebenswerk: »Das Kapital«
    New Economy und Börsenwahn; Dax und Dow Jones; Finanzmärkte und Realwirtschaft; Innovation und Produktion; Marktwirtschaft und Netzwerklogik; Kapitalmobilität und globale Arbeitsteilung; Handel mit Dienstleistungen, mit Rohstoffen und mit Hoffnungen; Multis, Direktinvestitionen und strategische Allianzen; komplexe Maschenwerke und geplatzte Seifenblasen; Deregulierung und Staatsintervention; Toyotismus und Silicon Valley; Korporatismus und neue Selbständigkeit – wer die Liste der Schlagwörter, die die Lingua Franca der Wirtschaftsblätter bilden, aufzusagen versucht, dem raucht schnell der Kopf. Die endlose Liste der Neuschöpfungen verweist nicht nur auf den exaltierten Charakter der Trendscouts, die für alles einen modernen Namen finden wollen, sondern zuvorderst darauf, daß unser zeitgenössischer Kapitalismus eine geheimnisvolle, sich permanent und rasant wandelnde Struktur ist, deren innerste Bewegungsgesetze nur schwer zu ergründen sind. Wie funktioniert dieser Kapitalismus? Diese Frage wird zunehmend häufiger gestellt, vor allem wohl deswegen, weil den Blütenträumen von der »krisenfreien Ökonomie«, die selbst von ernstzunehmenden Wirtschaftswissenschaftlern in den neunziger Jahren gesponnen wurden, nun die allgemeine Depression |89| folgte. Die globale Wirtschaft schlitterte 2002 in eine Schwächeperiode.
    Panik machte sich breit, nicht zuletzt deshalb, weil die Gründe dieser Krise sich nicht leicht nennen lassen, da alles mit allem zusammen hängt: Psychologie mit Investments, Gewinnerwartungen mit Lagerbeständen, Migrationsströme mit Handelskrisen, der Weltterrorismus mit regionalen Ökonomien. Endlose Bedingungsketten spannen sich auf: Wenn in New York Kamikazeterroristen in zwei Hochhäuser fliegen, dann rasseln die Börsenkurse, weil die amerikanischen

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