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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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platzt, wenn sie noch weiter die Luft anhält, um den Bauch flach zu kriegen. Den Hals nach hinten verrenkt, um die Brüste anzuheben. Gott um Stromausfall anfleht…
    Wunder geschehen. Rafael sagte, dass sie schön sei. Grüne Augen, im hundertprozentigen Besitz ihrer Sehkraft, und ein abgedrehter Geschmack in Bezug auf Frauen. Es war unprofessionell und aberwitzig, sich mit ihm für den Abend zu verabreden, ganz zu schweigen von dem, was folgte. Dafür gibt es keine Entschuldigung außer jener, dass sie außer Kontrolle geraten ist.
    Noch zwölf Tage, der Countdown läuft, und sie sitzt in Sibylles Kneipe und verweigert das Essen. »Bist du krank?«, fragt die Freundin, und Anna schüttelt den Kopf. Rote Haare fliegen. Rafael sagte, dass sie ein Tizian-Modell sei. Sein Vater war Maler und Anstreicher in Krakau und seine Mutter von dem Wunsch beseelt, dass ihr Sohn ein berühmter Künstler werden sollte. Rafael ist Kellner. Das mit dem Dealer war ein Witz. Erklärte er, nachdem Anna Kaffee gespuckt hatte. Sein schräger Sinn für Humor ist nicht unbedingt erheiternd. Er klopfte ihr beruhigend auf den Rücken und wischte die Brühe weg. Ein kleiner Test, ihren Humor betreffend: Hat sie ihn nun bestanden oder nicht? Er gab ihr keine Antwort auf diese Frage, sondern schenkte Kaffee nach. Er ist nett und fürsorglich, dachte Anna, und dass sie keine Ahnung hat, wer er ist, und nicht immer auf seinen fast nackten Körper starren sollte. Es war nur einfach schwer, woandershin zu sehen. Die Küche bot keinerlei ästhetische Fluchtpunkte, und die Fensterscheiben waren so schmutzig, dass man kaum nach draußen sah.
    Sibylle stellt einen Teller mit Tomaten und Mozzarella vor Anna auf die Theke. »Iss das, es macht dünn. Bist du jetzt auf dem Trip? Ist es ein Mann? Doch nicht etwa mein Filmagent? Du bist kein Typ für Porschefahrer, Anna. Such dir einen mit Motorrad oder einem alten Citroen. Am besten wäre ein Koch. Warum isst du nicht und starrst stattdessen romantische Löcher in die Luft?«
    »Nerv mich nicht. Ich hab einfach keinen Hunger.«
    Sibylle kann nicht aufhören zu reden, und sie kann nicht allein sein. Deshalb betreibt sie eine Kneipe und Sex als Freizeitbeschäftigung. Einen Mann oder eine Frau könnte sie nicht ertragen, dazu ist sie zu neugierig, zu vergnügungssüchtig, zu promiskuitiv. Das Leben muss ein großes Fest sein, und eine Todsünde wäre, sich nicht zu amüsieren. Aber sie kann auch zuhören, wenn es sein muss. Sie ist großzügig und zuverlässig und die einzige Familie, die Anna in Berlin hat. Vatermutterschwesterkind. Manchmal übertreibt sie es ein wenig mit der Mütterlichkeit und nennt es Entzugserscheinung. Für ein Kind gab es nie den richtigen Mann oder richtigen Zeitpunkt, und jetzt ist es zu spät. Anna teilt diese unbestimmte Trauer, im Leben etwas versäumt zu haben. Auch das verbindet.
    »Sag schon, wer es ist.«
    »Niemand«, erwidert Anna, und in gewisser Weise stimmt das auch. Sie kann nicht einmal seinen Nachnamen aussprechen. Weiß nur das, was er ihr erzählt hat, und viel ist es nicht. Rafael kellnert in einem In-Lokal am Gendarmenmarkt. Abends und manchmal bis weit nach Mitternacht. Dieser Tag war sein freier, und so fragte er, als Anna auf die Uhr sah und von Aufbruch sprach, ob sie Lust habe, mit ihm abends essen zu gehen.
    Nein, brüllte eine Stimme in ihr. Die Vernunft, auf die Anna zu selten hört. »Ja, aber warum?«, antwortete sie, und er schlug den »Guglhof« vor, den sie nicht kannte, und sie verabredeten sich für neun. Noch einmal, auch wenn es für eine Antwort zu spät war: Warum?
    Er sei einsam, sagte Rafael, und sie gefalle ihm. Irgendwie. Frauen, die älter werden und dabei schlichter und selbstverständlicher, hätten ihn immer schon angezogen. Mit dieser Erklärung ging Anna aus dem Haus, vielleicht schwebte sie auch, obwohl das Wort »schlicht« interpretationsfähig war. Vielleicht meinte er damit, dass alte Kühe dankbarer waren als junge Kälber.
    Anna sollte nicht über junge Männer nachdenken, sondern über ihre Arbeit. Die Observation von Harry Loos: Beinahe wäre sie ihm vor dem »Kaffee Krause« vor die Füße gefallen, doch Harry war in seiner Welt gefangen und beachtete die Rothaarige nicht. Er marschierte in Richtung Zentrum, zielstrebig, und er blieb seltener als am Vortag stehen, um eine Straßenszene zu beobachten: Liebespaare, die sich küssten; ein alternativer Golfspieler, der seinen Ball unter einer Mülltonne suchte; junge Türken mit

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