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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Sie sind ja noch nicht ganz draußen, und ich habe schon Kaffee aufgesetzt. Irgendwo muss es noch Brot und Honig geben. Ich mag nicht alleine frühstücken, und Harry muss morgens immer raus, sonst fällt ihm die Decke auf den Kopf.«
    Anna schwingt sich, Beine voraus, wieder ins Zimmer. Sieht nach oben: »Das könnte ohnehin geschehen. Es sind eine Menge Risse zu sehen. Sind Sie und Harry liiert?«
    Jetzt könnte er sagen: Geht Sie das was an? Ihre Neugierde wird sie eines Tages noch umbringen. Das Handtuch, es hat sich fast gelöst, und Anna kann gar nicht anders, als darauf zu sehen. Er knotet es wieder fest, bevor sie in Ohnmacht fallen könnte. »Nein. Harry ist nicht schwul.«
    Hat sie danach gefragt? Anna folgt ihm durch das Zimmer in die Eingangshalle, deren Marmorboden noch mehr Risse zeigt als die Decke. Eigentlich frühstückt sie nicht, doch wie viele andere dieser Stadt ist sie nicht festgelegt. Als Journalistin in Frühpension und als Detektivin eine komische Nummer. Absolut zu alt für diesen Mann, der eine wunderschöne Rückenansicht bietet. Babyhaut. Sie fühlt sich unzulänglich wie nie.
    »Ihre Handtasche raschelt so komisch«, sagt Rafael, als sie die Küche betreten, die in beklagenswertem Zustand ist. Auf dem alten Gasherd liegt eine grünliche Fettschicht, Anna versteht jetzt, warum Harry außer Haus isst. Der Kühlschrank ist eines dieser alten Riesenmodelle, die wieder in Mode gekommen und sehr teuer sind. Rafael entnimmt ihm Brot, Butter und Honig, und stellt angeschlagene Teller und Tassen auf den Tisch. Anna wünschte sich, er würde etwas anziehen. Wenn sie ein Mann wäre, hätte sie jetzt einen Ständer. Sie sollte sich schämen. Tut sie aber nicht.
    Er schenkt schwarzen, starken Kaffee ein und setzt sich ihr gegenüber. Streicht Butter und Honig aufs Brot und reicht ihr seinen Teller. Die Geste rührt sie. Alle Formen altmodischer Höflichkeit beeindrucken Anna sehr, vielleicht, weil sie im Aussterben begriffen sind. Wie die Wale und Gorillas und Elefanten. Die Annas dieser Welt. Sie liebt Elefanten und trägt ein kleines goldenes Exemplar um ihren Hals. Rafael berührt es mit seiner Hand und sagt: »Sehr hübsch.« Gänsehaut. Sie sollte sich wirklich schämen. Könnte er ihre Gedanken lesen, würde er schreiend weglaufen. Und was wird sie tun, wenn Harry heute ausnahmsweise nicht herumstreunt, sondern zurückkommt? Der Blick in grüne Augen sagt ihr, dass es vollkommen gleichgültig ist, was geschehen wird. Was je geschehen ist. Weil nur zählt, was jetzt ist. Der vollkommene Augenblick, flüchtig wie ein Lidschlag.
    »Wie verdienen Sie Ihr Geld?«, fragt Rafael. »Harry schreibt Bücher, die er nie zu Ende bringt. Lily ist Schauspielerin ohne Talent. Und ich bin ein polnischer Dealer.«
    Anna verbrüht sich die Lippe an heißem Kaffee. Spuckt schwarze Brühe auf den Tisch. Wie kommt sie dazu, an Vollkommenheit zu glauben, und sei es nur für den Augenblick?

4. Kapitel
     
     
     
    »Erinnerst du dich an mich? Ich bin die Frau, mit der du letzte Nacht geschlafen hast.«
    Anna spricht mit einer Maschine, die ihr sagte, dass Rafael zurzeit nicht erreichbar ist, worauf sie auch von selbst gekommen wäre. Sie verabscheut Anrufbeantworter, anonyme Stimmen, das Piepsen, das zum Sprechen auffordert. Entweder beginnt sie zu stottern oder sagt Sätze, die wenig Sinn ergeben. Von den technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts überfordert, versucht Anna Marx, irgendwie mitzuhalten. Sie besitzt alles, was der Mensch so braucht, und begegnet Telefonen, Computern, Faxgeräten und Kopierern mit dem ungläubigen Staunen von Alice im Wunderland.
    Es geht nichts über direkten Kontakt. Eine Nacht mit einem perfekten Körper, und, hier liegt die Crux, nie war sie sich ihrer Unvollkommenheit so schmerzhaft bewusst. Die großen Brüste: hängend. Der Bauch: eine hügelige Ebene. Das Fleisch ergibt sich langsam, aber unausweichlich der schlaffen Melancholie des Verfalls. Jede Gier, die Anna umtrieb und noch treibt, ist in diesem Körper gefangen, dem sie keinen Vorwurf machen kann. Sie ist lieblos mit ihm verfahren.
    Die Füße sind hübsch, doch von den Zehennägeln splittert der Lack. Sie ist eine Schlampe, eine große, rothaarige, unvollkommene Schlampe mit der ewigen Sehnsucht nach blonder, ätherischer Schönheit. Darüber kann sie manchmal lachen, die Frau hat Humor, der sich auch gegen sie selbst richtet. Aber nicht immer. Nicht, wenn ein Mann sie auszieht und sie denkt, dass sie gleich

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