Marx, my Love
vorsichtig zurück in die Ausgangsposition. Wozu braucht ein polnischer Kellner eine Waffe?
Annas Tagträume findet Sibylle irritierend. Sie setzt sich neben Anna.
»Ich hab mich ein bisschen umgehört in deiner Sache… aber wenn es dich nicht interessiert…«
»Doch, ich habe nur zu wenig geschlafen. Und zu viel getrunken. Das Übliche. Erzähl mir alles, was du weißt. Ich sollte wirklich meinen Beruf wechseln.«
Sibylle hat Anna einmal angeboten, sich an ihrem Lokal zu beteiligen, doch die Freundin ist nie darauf eingegangen. Sie verkauft sich, aber das würde Sibylle ihr nie sagen, unter Wert. Führt das richtige Leben im falschen, und vermutlich würde sie Anna nicht lieben, wenn diese perfekt wäre. Gebraucht zu werden ist ein Gefühl, das Sibylle glücklich macht.
»Also, pass auf. Ich habe einen Stammgast, der mit Jacob Lenz befreundet ist. Den habe ich nach allen Regeln der Kunst zugeschüttet und ausgehorcht…«
»Wer ist Jacob Lenz?«
Etwas ist mit dieser Frau geschehen. Drogen? Sex? Ein leichter Schlaganfall? »Himmelherrgott, Anna: Jacob Lenz ist Rosis Mann. Der Schauspieler. Inzwischen nicht mehr auf der Leinwand präsent, weil völlig zugekokst. Seine Alte finanziert ihn. Sie scheint an ihm zu hängen, obwohl er ständig mit irgendwelchen Sternchen fremdgeht, die halb so alt sind wie sie. Manche sogar ein bisschen zu jung, wenn du verstehst, was ich meine. Lenz hatte deshalb schon einmal ein Problem mit der Polizei, aber Rosis Anwalt hat ihn irgendwie rausgehauen. Es geht die Mär, dass Jacob der Kokser schon immer ein Lolita-Fan war und dass die Stark ihn damit geködert und qua Erpressung in die Ehe katapultiert hat. Vor zwanzig Jahren war Lenz berühmt und sie ein Nichts. Heute haben sich die Verhältnisse gewendet, und rate mal, warum sie ihm immer noch die Stange hält?«
»Er erpresst sie.« Anna sagt es beiläufig, fast beleidigend desinteressiert. Sibylle richtet ihre Augen zur Decke und stellt fest, dass diese mal wieder einen Anstrich nötig hat. Zu viel Qualm, aber auch Nichtraucher müssen sterben. »Genau so ist es. Sagt jedenfalls meine Quelle. Die beiden scheinen einander zu verdienen, aber da ist noch mehr. Die Quelle behauptet, dass Rosi Stark ein Netz von Abhängigkeiten gesponnen hat, was sich natürlich günstig auf die Auftragsvergabe auswirkt. Sie soll einen Programmdirektor höchstpersönlich regelmäßig auspeitschen, stell dir vor, wie wunderbar pervers das ist. Und eine Redakteurin in leitender Stellung wird von ihr mit Frischfleisch versorgt. Sie liefert ihr junge Schauspieler, die nach einer Rolle gieren. Es soll sogar Filme darüber geben…«
Wissen ist Macht. Der gute alte Spruch, der, leicht pervertiert, in allen Bereichen der Geldvermehrung Anwendung findet. Anna wird nie mächtig sein, denn sie weiß zu wenig. »Hat Jacob der Kokser diese Filme gedreht?«
Diese Frage kann Sibylle nicht beantworten. Doch ihre Quelle, ein Regisseur, der schon mal bessere Zeiten gesehen hat, sprudelt aus erster Hand. Er ist mit Jacob Lenz befreundet. Sie koksen gemeinsam und durchforsten die Stadt nach jungen Mädchen, die auf eine Karriere beim Film hoffen. Die Scheinwerfer sind so strahlend, dass sie blenden. Sibylle hat, als der Regisseur zur Toilette ging, seine Begleiterin ein wenig aufgeklärt. Mutter Courage verschwendete ihre Zeit. Das dumme Ding konnte dem Champagner und den Versprechungen nicht widerstehen. Sie blieb sitzen und ging mit ihm gemeinsam fort. Kein Koks in ihrem Lokal: Sibylle verweist auf die Notwendigkeit, ihre Lizenz zu behalten. Saufen können sie, bis sie vom Barhocker fallen, denn für legale Drogen ist diese Kneipe geschaffen.
Anna rührt in ihrer Kaffeetasse, als ob sie darin Wellen schlagen wollte. »Du solltest deine Quelle mit Harry Loos zusammenbringen. Dann hätte Harry das Futter für seine Rache.«
»Jetzt bist du vollkommen übergeschnappt.« Sibylle ignoriert das Winken eines Gastes, der bezahlen will. Man darf die Kerle nicht verwöhnen, sonst werden sie unverschämt. »Du arbeitest für Rosi Stark, schon vergessen? Harry Loos hat mit Jacob mal einen Film gedreht, ist etliche Jahre her. Da war Jacob schon auf dem Trip, und Harry hat ihm Stoff besorgt, um den Film zu Ende zu bringen. Das könntest du verwenden. Berlin ist ein Dorf, sag ich dir. Und die Leute quatschen ohne Ende… nur du bist so schweigsam heute. Es macht mich ganz nervös, Anna. Sag was. Bitte.«
»Magst du Harold and Maude?«
Oh nein, Sibylle fand den Film
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