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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Verblendung durch Schönheit. Sie dreht sich noch einmal nach Harry um, als sie zur Bushaltestelle geht, langsam, in der Art von Frauen, die in falschen Schuhen stecken. Er ist verschwunden.
    An der Haltestelle der übliche Griff zur Zigarettenpackung. Und während sie raucht und wartet, denkt sie darüber nach, wie sie diese Geschichte zu einem guten Ende bringen könnte. Ihr fällt nicht viel ein, und es beginnt zu regnen. Leise, sanfte Tropfen, die nach Abgasen riechen. Die Straße verwandelt sich in ein graues Gemälde von Schirmen und Scheibenwischern. Wieso hat sie plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden?

5. Kapitel
     
     
     
    Anna Marx hat drei Leben: eines, das sie liebt; eines, dem sie nicht entrinnen kann – und eines, das sie umbringen wird. Wichtig erscheint, nicht auszuweichen. Feigheit ist die größte aller Feindinnen, die zu bekämpfen ihr nie leicht fiel.
    Sie hat Rosi Stark per Telefon mitgeteilt, dass sie ihr ab sofort nicht mehr zur Verfügung stehe. Einen Abschlussbericht der Beschattung werde sie ihr zukommen lassen – und dafür die Anzahlung in Rechnung stellen. Anna war so erleichtert, als sie das gesagt hatte. Und hielt das Ding vom Ohr entfernt, als Rosamunde an der Reihe war. Brüllend. Sie nannte Anna einen unfähigen Gnom, eine lächerliche Versagerin, die illoyale, inkompetente Karikatur einer Detektivin. Und sie forderte ihr Geld zurück.
    Sie war beeindruckend in ihrem Zorn, es war eine gewaltige Woge, die über Annas Ohr hereinbrach. »Geld zurück ist nicht«, sagte Anna, als Rosi einmal Atem holte. »Ich habe drei Tage gearbeitet, und dass es nichts zu finden gab, ist nicht meine Schuld. Warum einigen sie sich nicht mit Harry Loos? Die paar Kröten tun Ihnen doch nicht weh.«
    »Aus Prinzip«, bellte sie zurück. »Ich hätte es nicht so weit gebracht, wenn ich jedem Blutsauger nachgeben würde. Und Ihnen, Marx, schicke ich meinen Anwalt auf den Hals. Ich werde dafür sorgen, dass Sie als Detektivin erledigt sind. Als Journalistin sind Sie es ja schon längst!«
    Eine Frau von vielen Talenten, besonders jenem, den Nerv der anderen zu treffen. Anna schenkte sich nach dem Telefonat einen doppelten Whisky ein, denn er zählte wie Zigaretten zu den Krücken ihres Lebens. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie das Glas hob. Ich heiße Anna und bin Alkoholikerin. Nein, noch nicht. Gewohnheitstrinkerin, manchmal schafft sie es, ein, zwei Abende hintereinander den »Mondscheintarif« zu meiden und stattdessen vor dem Fernseher zu sitzen und Milch zu trinken. Sind aber nicht ihre besten Nächte. Das Programm ist kein Ersatz für alkoholische Gesellschaft, eher eine Anleitung zum Unglücklichsein. Die Fernsehwelt ist ein Musikantenstadl für Gehörlose, und nur Harald Schmidt ließ sie für Minuten fühlen, dass Geist und Witz nicht völlig aus der Mode gekommen sind.
    Sie zittert, weil die Stark ihr Angst gemacht hat. Sie klang so, als wäre Anna ein Wurm, den sie jederzeit zertreten könnte. Und es ist nicht komisch, sich als Wurm zu fühlen. Wenn Anna an Wiedergeburt glaubte, würde sie an Drachen denken, Elefanten, Dinosaurier. Als Wurm hat sie sich unter Rosis Worten gekrümmt. Um sich nach der Zigarette und dem Whisky zu sagen, dass sie dennoch das Richtige getan hat. Sie will Harry nicht ans Messer liefern. Nicht auf einer Seite stehen, der sie nicht angehört. Angst ist ein mieser Ratgeber, und sie hat ihn in seine Schranken verwiesen. Irgendwie, denkt Anna, wird sie die Steuernachzahlung schaffen. Den Jaguar verkaufen, der ohnehin vor sich hin rostet. Man soll nicht an Dingen hängen. Und sich regelmäßig die Beine rasieren, wie Sibylle sie immer wieder ermahnt. Weil man nie weiß, wann man einem unrasierten Mann begegnet.
    Anna sitzt an ihrem Computer und tippt den Bericht für Rosi Stark, der nichts enthält, was von Bedeutung wäre. Von oben hört sie den Russen singen, und seine Stimme ist schauerlich schön. Vor zwei Tagen hat er sie auf der Treppe angesprochen und zu einem Liederabend im »Club erfolgloser polnischer Frauen« eingeladen. Tschaikowsky. Sie wollte nicht unhöflich sein und absagen, vor allem fiel ihr in der Eile keine passende Ausrede ein. Vielleicht hat Rafael Lust mitzukommen? Nein, Anna, denk gar nicht erst darüber nach, das alte Schlachtschiff mit Gefühlen zu beladen. Sie hat doch gerade erst begonnen, sich an den Zustand der Lieblosigkeit zu gewöhnen. Das Alleinsein, das sie als selbst gewähltes Exil zu betrachten beliebt. Sie kann schnarchen,

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