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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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als habe er Angst, sie könne es sich noch einmal überlegen. Von der verschwundenen Pistole sprach er nicht mehr. Harry Loos ist damit immer noch unterwegs. Und Lily, die Voyeurin, hat ihn vermutlich dabei beobachtet, wie er sie aus der Schublade nahm. Eine Schauspielerin ohne Engagement, die unter Einsamkeit leidet. Tun das nicht alle? Anna sieht sie an Fenstern stehen, auf Parkbänken sitzen, in Kneipen herumlungern, an Fitnessgeräten schwitzen, im Internet surfen – die einsamen Jäger des verlorenen Schatzes, der »geliebt werden« heißt.
    Sie sieht sich selbst. Stets so stolz darauf, von niemandem abhängig zu sein, weder finanziell noch emotional. Voller Furcht, es nicht zu schaffen und auf der Straße zu landen oder im städtischen Altersheim. Alt und arm ist ein Duett, das verboten gehört, vom Spielplan des Lebens gestrichen.
    Der Russe hat seinen Gesang wieder aufgenommen, während Anna ihren Bericht zu Ende tippt. Private Eye Marx hat einen Fall erfolglos abgeschlossen. Rosamunde wird ihr einen Anwalt auf den Hals hetzen, und es steht zu hoffen, dass sich unter Sibylles Amouren ein Jurist befindet. So praktisch, diese Promiskuität, einmal hatte die Freundin einen Allround-Handwerker, das war der Beste von allen. Willy hieß er, und er hatte große Hände, die fast alles renovieren und reparieren konnten. Als Gegenleistung verfolgte Anna einen seiner säumigen Zahler, der nicht so pleite war, wie er vorgab zu sein. Die Tauschgeschäfte funktionieren auf hohem Niveau, und das gilt für Informationen wie Dienstleistungen. Der Besitzer ihres Feinkostladens bittet Anna ab und zu, seine Tochter zu beobachten, die er für ein kiffendes Flittchen hält und auf den Pfad der Tugend zurückführen möchte. Dafür kauft Anna umsonst bei ihm ein. Sie braucht wenig Geld zum Leben, allerdings funktioniert es bei Schuhen nicht.
    Und sie hat große Lust, sich jetzt Schuhe zu kaufen. Grüne, mit hohen Absätzen und stilisierten Blüten. Wenn es zum Schlimmsten kommt, werden sie ja wohl nicht ihre Schuhsammlung pfänden. Auch nicht die gerahmten Filmposter an den Wänden. Die Stereoanlage ist alt und nichts mehr wert und der Fernsehapparat im Schlafzimmer eine Art Nachkriegsmodell.
    Frei ist nur, wer nichts zu verlieren hat. So gesehen ist ihr Leben beinahe vollkommen.

6. Kapitel
     
     
     
    Die Schuhe sind blau mit grünen Tupfen, und sie tragen zweiundsiebzig Kilo auf zwei Stilettos. Gut, man kann darin nicht bergwandern, aber Anna schafft es vom Taxi bis zum Haus, ohne zu stolpern. Die Farbe passe zu ihrem linken Auge, hatte der schwule Schuhverkäufer gemeint, der eigentlich Komiker ist. Sie trägt wieder ihre Sonnenbrille, die in der Dämmerung fast blind macht, und diesmal steigt sie nicht durch das Fenster, sondern drückt auf den Klingelknopf.
    Elfe öffnet, ein sehr kleines Wesen mit kahl geschorenem Kopf und den größten Augen, die Anna je gesehen hat. Auf eine sehr eigentümliche Weise ist es schön, dieses Geschöpf, das nur Lily sein kann. Unterernährt allerdings, und Anna unterdrückt die Regung, dünne Frauen ohne Kenntnis der Person zu verabscheuen. Sie lächelt. »Guten Abend. Ich bin Anna. Rafael hat mich eingeladen.«
    »Ich weiß schon«, sagt Lily und tritt zur Seite, aber nur ein wenig, sodass Anna sie berühren muss, um an ihr vorbeizukommen. Lilys Stimme ist hoch und klirrend, wie Glas, das jeden Augenblick zerspringen könnte. Sie trägt ein gelbes Wollkleid, das bis zu den Knöcheln reicht über einem Nichts von Körper, und wären ihre Augen nicht so alt, könnte man sie auf sechzehn schätzen. »Ich bin dreißig«, sagt Lily: »Und du?«
    »Zu alt.« Anna geht auf hohen Absätzen in Richtung Küche und schleppt Komplexe hinter sich her, zumindest fühlt sie sich so mit Lilys bohrenden Blicken im Rücken. Das Haus riecht nach Knoblauch. »Polnische Brotsuppe«, sagt Lily hinter Anna. »Danach iranischer Kaviar mit Kartoffelbrei und saurer Sahne. Rafael meinte, du würdest von Fischeiern nicht satt werden.«
    Anna hasst es, wenn Leute sie ungefragt duzen. Es passiert immerzu, und nur manchmal regt sie sich darüber auf. Jetzt zum Beispiel, was daran liegen könnte, dass Lilys Feindseligkeit wie ein Ozonloch in der Atmosphäre schwebt. »Essen Sie auch mit?« Anna hat sich vor der Küchentür umgedreht und ist mit Lily auf Augenhöhe. Nur muss Lily nach oben schauen.
    »Nein, keine Sorge, ich muss noch weg. Aber vielleicht lasst ihr mir was übrig – für später.«
    »Später« klingt wie

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