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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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hat.
    Harry pfeift anerkennend, und Anna setzt ihre Brille trotz Rafaels Protest wieder auf. Sie und Harry reden jetzt übers Filmgewerbe, und es scheint so, als ob sie seine Anwesenheit vergessen hätten. Rafael schüttet Vodka in ein Wasserglas. Er hat die Geschichten schon hundertmal gehört. Drehbuchautoren sind der Beginn allen Filmschaffens. Sie liefern die Idee und die Dialoge. Doch Autoren werden bestohlen, ausgebeutet und mit vage formulierter Kritik gefoltert, sodass sie ein Drehbuch ein Dutzend Mal umschreiben, und zwar so lange, bis ihre Kreativität zu verzweifeltem Lohnschreiben verkommen ist. Hinter allem steht die Angst vor dem Misserfolg, dem Kinoflop, der schlechten Quote, die Angst der Finanziers, Produzenten und Redakteure – und am Fuß der Leiter kauern die Autoren vor ihren Computern und versuchen sich an der Quadratur des Kreises: Qualität und Massengeschmack zu verbinden.
    Wenn sie es schaffen, tatsächlich bis zum Ende durchzuhalten und nicht vorher rausfliegen, sind sie eine Marathonstrecke des Selbstekels gelaufen. Sie werden im Vor- und Abspann mit Namen genannt, was sie eher als Schande denn Ehre empfinden.
    Anna hört sehr aufmerksam zu, und Harry spricht nur für sie. Täuscht er sich, oder flirten die beiden miteinander? Rafael wurde schon als Kind sehr zornig, wenn jemand versuchte, ihm sein Spielzeug wegzunehmen. Was vermutlich daran lag, dass er so wenig davon hatte.
    »Rosis Taktik ist simpel«, sagt Harry. »Sie greift sich einen Genialen und entlockt ihm eine Idee. Verspricht ihm die Welt, bis sie sein Expose in Händen hat. Dann kickt sie ihn raus, weil sie Qualität zu Dumpingpreisen möchte. Schließlich kommen die Lohnschreiber zum Zug, die den niveaulosen Jargon draufhaben, der im Fernsehen als konsensfähig gilt und quotenträchtig zelebriert wird. Weißt du, was das Schlimmste ist, Anna?«
    Er duzt sie schon, denkt Rafael. Warum nur hat er sie nach Hause eingeladen, statt mit ihr auszugehen? Näher am Bett, er weiß die Antwort. Und wenn die beiden so weitermachen, wird er es volltrunken und einsam bevölkern.
    »Sie tötet Qualität. Das ist auch eine Art von Mord.«
    »Sind die andern besser?«, fragt Anna.
    »Manche. Ein wenig. Niemand ist so brutal gut wie Rosi, das ist die Wahrheit. Und der Schlüssel ihres Erfolgs, nehme ich an. Sie geht über die Leichen von Stoffen, die einmal wunderbar waren. Eine Serienkillerin. Und verdient auch noch daran.«
    »Sie ist schlau und stark.« Anna hätte diesen Satz gern zurückgenommen, denn eines scheint Harry nicht zu ertragen: auch nur die sanfteste Form des Widerspruchs. Rafael beginnt zu lachen, das macht die Sache nicht besser.
    Sind Verlierer die besseren Menschen? Anna möchte daran glauben, tut es aber nicht. Verlierer stehen jenseits aller Möglichkeiten, Macht zu missbrauchen, zumindest ab einem Niveau, auf dem es interessant zu werden beginnt. Harry schwelgt geradezu in bitterem Selbstmitleid, das ist ein bisschen abstoßend.
    »Ihr habt ein paar Ähnlichkeiten«, sagt er jetzt: »Ihr seid schlau und stark, und man müsste euch in ein Gehege stecken mit der Aufschrift Gefährliche Tiere, Füttern verboten.«
    »Aber du hast sie immer wieder mit Ideen gefüttert. Das war nicht schlau.« Rafael räumt Harrys Teller ab, er ist der aufmerksame Kellner dieses Hauses, Harry das leidende Genie, und Lily die verrückte Spionin.
    »Ich habe sie mal geliebt. Wer liebt, ist dumm.« Harry sieht durch Anna hindurch auf einen Film, der lange abgedreht ist. Kein Happy End. Rosi hat mehr zerstört als seinen Glauben an Gerechtigkeit. Aber er hat keine Lust, dies einer Frau zu erzählen, die ihn nur vage an eine alte Liebe erinnert. Jetzt schleckt sie sich einen Kaviarkrümel von den vollen Lippen, um sich dann eine Zigarette anzuzünden. Rosi rauchte mit Zigarettenspitze, und die Erinnerung an ihren schlechten Atem verfolgt ihn bis heute, obwohl er selbst seit zwei Jahren an der Nikotinnadel hängt. Harry steht abrupt auf und verlässt die Küche, ohne ein Wort zu sagen.
    »Er verträgt keinen Widerspruch«, sagt Rafael. Er steht an der Spüle und wäscht das schmutzige Geschirr, und Anna löscht ihre Zigarette, um ihm zu Hilfe zu eilen. Ein Haushalt ohne Spülmaschine ist ebenso anachronistisch wie Rauchen oder spülende Männer. Alles an diesem Haus ist schräg, angeführt von Lily, der kahlen Elfe. »Hast du ihn wegen der Waffe angesprochen?«
    »Nein, es schien mir nicht der richtige Zeitpunkt. Falls du wissen willst, woher ich

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