Marx, my Love
sie habe: Mein Cousin hat sie mir geschenkt. Er verschiebt Autos und arbeitet zweimal pro Woche in einem Altersheim, um seine Sünden abzubüßen. Wir sind katholisch erzogen.«
»Dachte ich mir schon«, sagt Anna. »Neben der Pistole lag eine Bibel. Ich habe die Schublade aufgezogen, weil ich manchmal meine Neugierde einfach nicht beherrschen kann. Ich nehme an, Lily hat mich dabei beobachtet. Wann waren Rosi und Harry liiert?«
»Ist schon ein paar Jahre her. Sie hat ihn als Drehbuchautor aufgebaut – und demontiert. Manchmal denke ich, dass er immer noch süchtig nach ihr ist. Es war nie Liebe, eher eine Abhängigkeit. Vielleicht hat Harry gedacht, dass sie ihn mit diesem neuen Projekt wieder aufnimmt. Ihm verzeiht.«
»Was verzeiht?« Anna schneidet sich beim Trocknen des Messers in den Zeigefinger und sieht erschrocken auf das Blut, das aus einer kleinen Wunde hervorquillt.
Rafael holt ein weißes Taschentuch aus seiner Hosentasche und umwickelt damit den Finger. Hat sie ihm schon gesagt, dass sie Männer, die Stofftaschentücher bei sich tragen, unwiderstehlich findet?
»Setz dich hin, Anna, und trink was. Ich kann kein Blut sehen. Harry hat ihr einen Hund geschenkt, am Anfang ihrer Affäre. Sie liebte das kleine Vieh, aber Harry eben nicht mehr. Und als sie ihn rauswarf aus ihrem Haus, hat er den Hund mitgenommen und ihn einschläfern lassen.«
»Vielleicht«, sagt Anna, »erschießt er mit deiner Pistole ihren Hund. Sie hat wieder einen… ich hab es in einer Illustrierten gelesen.« Wie grausam, Rache an einem Köter zu nehmen. Es gibt keine schönen Verlierer, sie hat es immer gewusst.
Rafael hat seine Hausarbeit beendet und wischt sich die Hände an dem Spültuch ab. Sie betrachtet ihn wie ein begehrenswertes Bild, das sie sich nicht leisten kann. Ein bisschen wehmütig, aber vernünftig. Wenn sie jetzt aufhört, Vodka zu trinken, wird sie imstande sein, aufzustehen und zu gehen. Zumindest die paar Schritte bis zur Haustür und zum Taxi, das sie noch rufen muss.
»Ich glaube nicht, dass er es wieder tut. Er hat sich dafür geschämt.« Rafael sieht in Annas Gesicht und scheint schon wieder ihre Gedanken zu lesen. »Kaffee oder Sex? Ich würde Letzteres vorziehen.«
»Keines von beidem. Es war ein wunderbares Essen, und ich danke dir. Aber jetzt möchte ich nach Hause.«
»Warum?«
Schon wieder diese Frage, die Anna in ihrem Leben tausendmal gestellt hat, und selten waren die Antworten befriedigend. Und was sie jetzt sagt, ist es auch nicht. »Ich bin müde, und die Schuhe drücken. Der Mond scheint durch dein gardinenloses Fenster, und er wird nicht vom Himmel fallen, wenn wir es miteinander treiben. Und ich hasse es, von Lily beobachtet zu werden.«
»Ich könnte dich zu dir nach Hause begleiten.« Es klingt verletzt, ein bisschen flehend.
»Nein.« Das kann sie ihm nicht erklären. An ihrer Wohnung, die auch als Büro dient, ist ein Schild angebracht, das er besser nicht sieht. »Rufst du mir ein Taxi?«
»Sehr, sehr ungern.« Rafael geht einen Schritt auf Anna zu, und sie weicht zurück. »Versuch es erst gar nicht. Vielleicht… ein andermal…«
»Ein andermal könnte ich tot sein. Oder impotent. Oder mit einer anderen beschäftigt.« Es kränkt ihn, zurückgewiesen zu werden. Von einer Frau, die seine Mutter sein könnte und ein lächerliches Kleid trägt, das nur noch von diesen Schuhen übertroffen wird und der Brille, die ihn daran hindert, ihre Augen zu sehen. Eine Frau, die er hier und jetzt begehrt, und der Teufel soll ihn holen, wenn er sich weiter vor ihr demütigt.
Anna zieht ihr Handy aus der Tasche, mit einem Griff, das überrascht sie, und sie ruft ein Taxi, während sie aus der Küche in den Flur geht. Das blutige Taschentuch hat sie auf dem Tisch zurückgelassen, offenbar bleibt immer etwas Rotes von ihr zurück. Er ist ein kleiner, dummer Junge, und es war ein Fehler, sich mit ihm einzulassen. Nur in der Wiederholung liegt die Sünde. Einmalige Fehler verzeiht sich Anna, seit sie denken kann.
Sie öffnet die Haustür und geht vorsichtig über den efeuüberwucherten Weg zum Tor. Der Mond scheint bleich und durchdringend in eine laue Nacht im Mai, die sie allein beschließen wird. Aber vorher braucht sie noch einen Schlaftrunk bei Sibylle, und sie wird ihr erzählen, dass sie einen Tag lang mutig und klug war. Die Familie der Freunde ist alles, was sie hat und kriegen kann, und immer hübsch bescheiden, dann ist das Leben einfacher und schmerzloser. Nach Meinung ihrer
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