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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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zerknüllt es und wirft es wütend in den Papierkorb. »Ich kann nicht malen. Ich habe kein Talent, überhaupt keines.«
    »Du bist Schauspielerin«, sagt Anna. »Was war beim letzten Mal?«
    »Rafael ist ausgerastet und hat ihr eine Ohrfeige gegeben. Marilyns Backe ist angeschwollen, das hat sie ihm nicht verziehen. Sie ist gegangen. Später hat sie ihm eine Arztrechnung geschickt, und er hat sie bezahlt. Ist es nicht komisch, wie banal große Lieben enden? Ich habe immer geglaubt, dass sie füreinander bestimmt sind – so wie ich und Harry.«
    Lily spielt jetzt mit dem Brieföffner. »Du musst Harry finden. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun soll. Ohne ihn ist alles grau…«
    »Du solltest etwas essen«, sagt Anna. »Wir gehen jetzt frühstücken, und dann versuche ich, irgendwie an Joy ranzukommen. Und du bist sicher, dass du nichts gesehen hast? Ich glaube nämlich, dass Rosis und Marilyns Tod zusammenhängen. Sie ist nicht gesprungen. Nicht freiwillig.«
    Lily sieht Anna ungläubig an. Dann schaltet sie den kleinen Fernsehapparat an, der in Annas Büro steht. Der Nachrichtenkanal zeigt Bilder vom Weltgeschehen, die Toten nehmen kein Ende, doch Marilyn ist nicht dabei. »Sie war nicht wichtig«, sagt Lily, und es klingt herzlos. Nichts berührt sie, denkt Anna, außer Harry. Sie ist von ihm besessen, und das macht sie blinder, als sie ohnehin schon ist.
    »Erzähl mir von Harry«, sagt Anna, als sie beim Frühstück sitzen, in einem der Cafes, die für Menschen da sind, die zu faul zum Einkaufen sind oder schon morgens Gesellschaft brauchen. Sie hat Lily eine Zahnbürste geschenkt und sie nach der Katzenwäsche aus der der Wohnung getrieben. Lily behauptete, keinen Hunger zu haben. »Man muss essen«, sagte Anna und schob ihren Gast aus der Tür. Bevor sie aus dem Haus ging, klingelte sie bei Fjodor, doch er reagierte nicht. Vor mittags hat sie ihn nie gesehen oder gehört, er ist ein Morgenschläfer, also ließ sie es dabei.
    Lily löffelt ein Joghurt, während Anna aus einer großen Tasse Kaffee trinkt und in ein Schinkenbrötchen beißt. Lily hat kein Geld dabei, und Anna hat sie eingeladen. Lily erzählt: von Harry, den sie auf den ersten Blick geliebt hat. Weil er so zart ist wie sie und nur nach außen den Boxer spielt. Alles, was in der Welt geschehe, nehme Harry persönlich. »So viel Anteilnahme kann einen umbringen«, sagt Lily, und dass sie endlich einen Menschen gefunden habe, der ihren Schutz brauche. Weil es doch immer umgekehrt war in ihrem Leben: »Alle haben über mich bestimmt – mein Vater, meine Lehrer, Trainer, Kameraden… mich hat wirklich nie einer gefragt, was ich wollte. Und wenn ich etwas sagte, hat keiner zugehört. Manchmal kam es mir vor, als ob ich gar nicht existierte. Nur in der Vorstellung der anderen, verstehst du. Und Harry war der erste Mann, der mich… ich weiß nicht… überhaupt als erwachsenen Menschen behandelte. Als Frau. Ich habe ihm mein ganzes Leben erzählt, alles, was falsch war. Das habe ich natürlich erst begriffen, als ich darüber sprach. Man kann Harry alles fragen – und er hat immer Antworten. Er ist so klug. Er weiß einfach alles.«
    Nur nicht, wie man richtig lebt, denkt Anna, spricht es aber nicht aus. Wer weiß das schon, ehe es zu spät ist. Lilys Gesicht verklärt sich, wenn sie über Harry redet. Ihre großen Augen sehen durch Anna hindurch auf das Paradies, dem sie einen Namen gegeben hat. Es ist rührend, aber auch verstörend. »Warum, glaubst du, ist er weg? Und warum hat er dich nicht mitgenommen?«
    Die zweite Frage war falsch, denn Lily beginnt zu zittern.
    Anna könnte sich ohrfeigen. Lily hat keine Antworten, also sollte sie aufhören zu fragen. »Es tut mir leid. Wahrscheinlich wollte er einfach nur vor der Polizei davonlaufen. Er wird sich sicher bald mit dir in Verbindung setzen. Wenn er es nicht schon getan hat.«
    »Ich sollte nach Hause«, sagt Lily. Sie zittert nicht mehr. Sie springt auf, und bevor Anna auch nur ihre Tasse abstellen kann, ist sie aus dem Cafe geflüchtet. Anna rennt hinterher. Sie weiß nicht, warum sie es tut, vielleicht, weil sie glaubt, Lily vor etwas beschützen zu müssen, das sie nicht einmal benennen kann. Aber sie tut es: Sie folgt ihr bis an die Glastür. Dann wird sie von hinten festgehalten.
    »Wir wollen doch nicht vergessen zu zahlen«, sagt eine Stimme, die zu den Händen gehört, die ihre Arme umklammern. In Filmen passiert so etwas nie, denkt Anna, die den wehenden, grünen Mantel noch einmal

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