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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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sieht, bevor Lily aus ihrem Blickfeld verschwunden ist.
    »Sie werden es nicht glauben, aber ich wäre zurückgekommen wegen der Rechnung. Lassen Sie mich jetzt los?«
    »Das sagen sie alle, Schätzchen.«
    Die Frau, die einer Sumo-Ringerin ähnelt, hat Anna losgelassen und sich vor ihr an der Glastür postiert. Sie hält Anna die Rechnung vors Gesicht. »Ist nicht persönlich gemeint. Ist sie deine Tochter?«
    »Nein. Mein Engel.« Anna gräbt in ihrer Tasche und gibt der Sumo-Ringerin einen Zehn-Euro-Schein. »Den Rest können Sie behalten. Natürlich nur, wenn Sie mich jetzt durchlassen.«
    Die gewaltige Frau tritt zur Seite und sieht Anna besorgt an. »Soll ich ein Taxi rufen… oder einen Arzt… oder Priester?«
    »Wie wär’s mit Gott? Oder haben Sie seine Nummer nicht?« Anna tritt ins Freie. Und überquert die Straße bei Rot. Sie fühlt sich immer besser, wenn sie etwas Verbotenes tut. Die lächerliche Rebellion gegen die Verhältnisse, die sie nicht gutheißt. Gegen die sie nichts tut. Außer Engeln nachzujagen. Und Mördern…

17. Kapitel
     
     
     
    Die Geschäfte laufen gut. Der Kioskbesitzerin von gegenüber ist die Katze entlaufen, und sie hat Anna beschworen, sich auf die Fährte ihres geliebten Tieres zu setzen – sofort und um jeden Preis.
    Anna könnte also Geld verdienen, doch stattdessen ist sie in die Karl-Marx-Allee gefahren und steht nun vor einer Wohnungstür, die von der Polizei versiegelt wurde. »Marilyn und Joy« steht auf dem Schild, von Hand geschrieben, und es hängt schief. Anna mit ihrem Sinn für alles, das schräg und unvollkommen ist, widersteht dem Impuls, es gerade zu schieben. Dann erlischt das Licht, und in dem schmalen, fensterlosen Flur steht eine furchtsame Detektivin, die nach dem Lichtknopf tastet.
    In diesem Haus hängt Trauer wie tiefer Nebel, und es war nicht erst Marilyns Tod, der ihn brachte. Jedes Stockwerk, das Anna auf ihrem Weg nach oben passierte, erschien ihr als eine Station der Hölle, obwohl die Stufen aufwärts führten. Die Graffiti an den Wänden sind politisch unkorrekt und obszön. Die Stille ist grau und dumpf, und es riecht nach tausend Jahren Einsamkeit.
    Da, wo Anna wohnt, ist es niemals leise. Sie hat oft geflucht, sich aber nie gefürchtet. Sie könnten alle tot sein hinter ihren Resopaltüren, denkt Anna. Nur von Agnes alias Marilyn weiß sie es. Und was soll sie jetzt tun?
    Marlowe würde die Tür eintreten. Marx zieht es in Erwägung, aber sie weiß genau, dass sie sich nur die Schulter prellen würde. Das Türschloss sieht fragil aus, man könnte es mit einer Haarnadel öffnen. Vielleicht. Vernünftiger wäre es, zu gehen und nach einer rotweiß gestreiften Katze zu suchen. Anna tut das, was sie immer tut, wenn sie sich nicht entscheiden kann: Sie zündet sich eine Zigarette an. Und wartet. Lehnt sich gegen die Tür und hofft auf ein Wunder, irgendeines. Zum Beispiel, dass Joy zurückkommt…
    Dass jemand die Tür von innen öffnet, gehörte nicht zu jenen, die sie erwartet hat. Sie stolpert und fällt beinahe in die Arme des Menschen, der sie einließ. Die Überraschung ist einseitig, und Anna ist in der schlechteren Position, weil sie zunächst damit beschäftigt ist, ihr Gleichgewicht zu halten. Der Mann ist einen Schritt zurückgegangen, sodass sie sich nirgendwo festhalten kann. Sie rudert mit den Armen und verliert ihre Handtasche, die zu Boden fällt.
    Der Mann hebt sie auf. Anna steht jetzt auf beiden Beinen. Sie sehen sich an. Er ist groß und kräftig und trägt eines dieser Gesichter, in die sie sich häufig verliebt hat, als sie noch auf dem Pfad der erotischen Hoffnung war. Klugheit und Güte sind ein Paar, das sich selten in Gesichtern festschreibt. Es täuscht manchmal, aber sie hat dieser Verbindung nie wirklich widerstehen können. Philipp hatte so ein Gesicht. Er war dünner. Und feige war er auch. Sonst hätte sie ihn nie verlassen können.
    »Dürfte ich meine Handtasche wiederhaben?«
    Der Mann sieht Anna fast amüsiert an, hält jedoch an ihrem Eigentum fest. »Dürfte ich fragen, wer Sie sind? Und was Sie hier tun?«
    »Nein«, erwidert Anna, obwohl sie weiß, dass sie damit nicht durchkommt. Sie mag dieses Wort einfach zu gern, und sie hat zu spät damit begonnen, es konsequent anzuwenden.
    Er schüttelt lächelnd den Kopf und holt dann ihren Ausweis aus der Tasche. Er studiert ihn schweigend, und Anna studiert den Mann. Alles an dieser Hässlichkeit wirkt anziehend, obwohl er natürlich ein Bulle sein muss. Ein

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