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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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während es geschah. Als sie kam, trug sie eine Einkaufstüte. Sie muss die Polizei, den Menschenauflauf gesehen haben – und ist trotzdem nicht weggelaufen. Warum?
    Anna stellt die Frage hintan und beschäftigt sich mit einer zweiten Hypothese: Agnes oder Marilyn musste sterben, weil sie gesehen hat, wer Rosi Stark auf die Toilette folgte. Vielleicht hat sie versucht, den- oder diejenige zu erpressen. Sie mochte große Scheine. Sie war furchtlos bis über die Grenze der Selbstüberschätzung. Warum aber ein Treffen in ihrer Wohnung, ganz allein? Jemand, der einmal getötet hat, ist gefährlich. Das musste selbst Marilyn wissen. Vielleicht ist ihr Besuch zu früh gekommen – oder Joy hat sich beim Einkaufen verspätet. Sie sah nicht nur geschockt aus, sondern auch schuldbewusst. Und irgendwann wird ihr dämmern, dass sie von nun an selbst in Gefahr ist. Wer wird sie beschützen? Die Polizei? Onkel Wanja?
    Als Anna sich eine Zigarette anzündet, um besser denken zu können, wacht Lily auf.
    »Es brennt«, murmelt sie und öffnet langsam ihre Augen, diese großen Kinderaugen, und richtet sie auf Anna. Fragend.
    »Meine Zigarette brennt. Du bist hier eingeschlafen«, sagt Anna. »Ich konnte dich nicht aufwecken. Ich habe es nicht einmal versucht.«
    Lily sieht erschrocken aus. »Habe ich im Schlaf geredet?«
    »Nein. Ich habe jedenfalls nichts gehört. Kaffee ist in der Küche. Handtuch und Zahnbürste sind im Bad. Ich muss in einer Stunde weg, du hast also noch ein bisschen Zeit.«
    »Wirst du Harry suchen.«
    Die Frage ist wie eine Forderung formuliert. Anna hat wenig Neigung, das Thema zu vertiefen, also sagt sie: »Ja, ich versuche es. Aber vorher muss ich mich um eine andere Sache kümmern. Ein Mädchen ist gestorben, das ich kannte. Marilyn, die in Wirklichkeit Agnes hieß. Sie haben es gerade in den Nachrichten gebracht.«
    Lily, die sich geräkelt hat, hält in ihren Armbewegungen inne und sieht Anna scharf an. »Eine schöne, blonde Frau, die ihren Körper verkauft hat?«
    Sie ist für jede Überraschung gut, denkt Anna. Gleich wird sie mir erzählen, dass sie übersinnliche Kräfte hat und von ihr träumte. »Kennst du sie?«
    Lily lächelt schlaftrunken, aber auch ein wenig gemein. »Ja, sicher. Sie hatte etwas mit Rafael. Vor einem Jahr oder so. Eigentlich war es eine große Liebe, es hat mir aber nichts mehr ausgemacht, weil ich sowieso nur Harry wollte. Die beiden waren ein so schönes Paar.«
    Glaub ich, denkt Anna und fühlt wieder diesen unbestimmten Schmerz. »Marilyn war ein sehr teures Callgirl. Wie kam sie an Rafael?«
    Lily ist aufgestanden und hat sich aus der Küche eine Tasse Kaffee geholt. Sie scheint Annas Verletzung und ihre Neugierde zu genießen. Setzt sich an den Schreibtischrand und stellt die Tasse so hin, dass sie Ränder hinterlassen wird. »Sie war mit ein paar Leuten in dem Lokal, in dem er kellnert. Damals sprach sie wenig Deutsch, und sie hat sich wohl gelangweilt, deshalb haben sie miteinander Polnisch geredet. Na ja, und wie das so ist. Er war schrecklich in sie verliebt. Sie sah aus wie Marilyn Monroe.«
    Sie war zu schön, denkt Anna. Man hat sie nur dafür bewundert und daran gemessen, und es ist ihr natürlich zu Kopf gestiegen. Sie hielt sich für unbesiegbar. Niemand ist es. Auch Lily nicht, die sich benimmt, als wäre sie in Annas Wohnung zu Hause. Sie blättert im Terminkalender, und Anna schlägt ihr auf die Hand, nur leicht. »Lass das, Lily. Deine Neugierde ist ungesund. Hat Rafael gewusst, dass sie ein Callgirl war?«
    »Ja, klar. Anfangs hat ihn das nicht gestört, hat er jedenfalls behauptet. Aber irgendwann wurde er dann doch schrecklich eifersüchtig. Er ist zu Onkel Wanja gegangen und hat ihm sein Erspartes angeboten – im Gegenzug für Marilyn. Aber der hat nur gelacht, und sie wollte ja gar nicht aufhören. Sie hat immer gesagt, dass sie die Bewunderung von vielen Männern braucht und dass sie ihnen ihre Schönheit wie ein Geschenk gibt. Und dafür eine Belohnung erwartet, eine angemessene. Sex fand sie überhaupt nicht schlimm. Sie sagte, Sex sei irgendwie Macht. Ich weiß nicht, was sie damit meinte. Du etwa?«
    »Nein«, sagt Anna. »Vielleicht muss man schön sein, um es so zu sehen. Marilyn und Rafael haben sich also gestritten?«
    »Ja, immer öfter. Aber sie haben sich immer wieder versöhnt – bis zum letzten Mal.« Lily malt Kreise auf ein leeres Blatt Papier. Ihre Hände sind immer in Bewegung, und ihre Kreise sind schief. Sie nimmt das Papier,

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