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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Berufsstand, gegen den sie ein paar Vorurteile pflegt, die vor allem dann ins Kraut schießen, wenn die Polizei massenhaft in Erscheinung tritt, mit Helmen und Schilden bewaffnet und im Krieg gegen das Volk. Es ist in Berlin renitenter als anderswo, man muss es nicht mögen. Es gibt kein Ideal, das den Einzelfall außer Kraft setzt. Der Bulle, der auf einen Menschen einschlägt, der schon am Boden liegt. Der Vermummte, der dem ängstlichen Polizisten mit Pflastersteinen begegnet.
    Dieser hier ist keiner von Annas Prototypen. Er schiebt ihren Ausweis zurück in die Tasche und betrachtet Anna mit zur Seite geneigtem Kopf und ironischem Grinsen. Findet er sie komisch?
    »Jetzt wissen Sie, wer ich bin. Und Sie sind ein Bulle. Haben Sie auch einen Namen?«
    »Johannes Täufer. Die Witze dazu kenne ich schon. Bleibt die Frage, was Sie hier tun.«
    »Sie haben mich gewissermaßen reingelassen«, sagt Anna. Sie sieht sich jetzt zum ersten Mal um und ist erstaunt, wie schön die Wohnung eingerichtet ist. Ein Ort, um sich wohl zu fühlen, zumindest wenn die Tür geschlossen ist und die Gardinen zugezogen sind. Die Rosen auf dem Couchtisch sind verwelkt, das ist der einzige Makel. An der Balkontür sind Klebestreifen angebracht. Die Tür steht offen.
    »Ach, kommen Sie, Anna Marx: In wessen Auftrag schnüffeln Sie hier herum? Wenn ich noch länger gewartet hätte, wären Sie mit der Haarnadel beschäftigt gewesen, stimmt’s? Das wollte ich Ihnen ersparen.«
    Er lächelt immer noch. Seine Stimme ist sanft, und die grauen Augen sind freundlich auf Anna gerichtet. Seine Hände liegen auf der nicht unerheblichen Wölbung eines Bauches, der von einem weißen Hemd umhüllt ist. Er trägt keinen Ring. Anna mag kräftige Männer, zumindest solange sie angezogen sind. Jetzt zieht sie Johannes Täufer aus und ist nicht sicher, ob ihr die nackte Wahrheit gefallen würde. Wann hört sie auf, an Sex zu denken? Mit fünfzig?
    »Ich tue nie etwas Ungesetzliches, und ich habe keinen Auftraggeber, ehrlich. Es ist bloß so, dass ich Marilyn und Joy kennen lernte, durch meinen Nachbarn, der eigentlich Sänger ist. Sie war ein so schönes Mädchen. Ich glaub einfach nicht, dass sie freiwillig da runtergesprungen ist.«
    Anna geht auf die Balkontür zu, und er hält sie nicht auf. Sie steigt über die Absperrung, vorsichtig. Dann steht sie draußen und sieht nach unten. Dort, wo Marilyn aufgeprallt ist, ist eine Kreidezeichnung geblieben. Die kleinen Menschen, die vorbeigehen, umkreisen sie und blicken dann neugierig zurück. Sie sind noch einmal davongekommen, doch natürlich nur vorübergehend.
    Die dunklen Flecken müssen vom Blut stammen. Der große Schlaf ist immer noch die angenehmere Vorstellung als jene von Marilyns zerschmettertem Körper.
    Das Geländer ist niedrig und ebenfalls von Klebestreifen bedeckt. Anna ist nicht schwindelfrei, die Höhenangst hat mit den Jahren zugenommen und raubt ihr jetzt den Atem. Niemals würde sie springen, und sie wird es auch nicht tun, wenn sie fünfzig ist.
    »Berühren Sie nichts«, sagt die Stimme hinter ihr. Sie ist sehr nahe, fast in Annas Nacken. Sie ist sanft und freundlich, diese Stimme, und sie passt zu einem dicken Mann. Anna riecht Pfefferminzatem. Sein Bauch berührt ihren Rücken, er fühlt sich warm und weich an. Doch ihr ist kalt.
    »Die simple Kunst des Mordens«, flüstert der Täufer. »Jeder kann es. Jeder möchte es dann und wann. Ich bräuchte Ihnen nur einen kräftigen Stoß zu geben und vielleicht noch bei Ihren Füßen nachhelfen – und Sie würden fliegen.«
    Anna schaut nach oben in den Himmel. Alles war leichter, als sie noch daran glaubte, dass hinter den weißen Wolken ein gütiger alter Mann sitzt, der gut und böse definiert. Es war eine kurze, fast schmerzfreie Zeit. Die Angst beginnt mit der Erfahrung des freien Willens. Mit den vielen kleinen bösen Erfahrungen und dem Wissen, wozu Menschen fähig sind. Und wenn der Täufer kein Bulle ist, sondern ein Mörder?
    »Ich wollte nie fliegen«, flüstert Anna. »Ich habe nämlich Höhenangst.«
    »Sie wollte auch nicht fliegen.«
    Anna dreht sich zu ihm um, weil sie das Flüstern in ihrem Nacken nicht mehr erträgt. Die Angst ist so groß wie das Universum, und sie muss dennoch fragen: »Woher wissen Sie das so genau?«
    Sie hat die Welt jetzt in ihrem Rücken. Und seine Augen vor sich. Sie sind grau und uneinsichtig, und Annas Einschätzung von der Güte anderer war immer schon von großem Optimismus getragen. Der Balkon ist

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