Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht
Lieblingszeitschrift. Scarlett sah Onkel Baby James dabei zu, wie er sich in den Sessel mühte. Er musste sich förmlich zusammenklappen – so sah es jedenfalls aus –, wie das Taschenmesser ihres Vaters, und er schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis er endlich bequem in dem Sessel saß.
»Ich und dein Opa«, sagte er, »wir haben beschlossen, dass wir keine Schweine mehr wollen und uns lieber auf Kühe konzentrieren. Das müsste jetzt zehn Jahre her sein, etwa. Also wurden die Schweine ins Würstchenland verfrachtet, aber ihr Gestank blieb hier. Gott sei Dank, sonst würden die Würstchen danach riechen. Jedenfalls werden wir ihn nicht mehr los. Ist dir der Trog da drinnen aufgefallen?«
»Was ist ein Trog?«
»So eine Art Wanne für Futter. Aus Stein. Im Dorf gibt es einen Wassertrog, da tranken damals die Pferde draus, als noch jeder ein Pferd im Stall hatte. Kennst du den?«
»Ja. Papa sitzt da immer und liest seine Zeitung.«
»Genau«, sagte Onkel Baby James. »Na ja, das ist jedenfalls ein Trog.«
Jetzt stand Scarlett vor der Stalltür und betrachtete den Trog, der ihr zuvor nie aufgefallen war. Er war niedriger als der im Dorf, weil, das wusste sie, Schweine kürzere Beine als Pferde haben, also musste der Trog näher am Boden sein. Er war viel länger als der im Dorf. Er zog sich an der ganzen Stallwand entlang. Daraus hatten also damals die Schweine gefressen. Sie hätte gern gewusst, ob da immer noch altes Futter im Trog war. Aber sie schaute nicht nach.
Sie überquerte den Hof und ging zu den Windhunden. Der Traktor rumpelte immer noch, und sie nahm an, dass ihr Vater unten im Dorf war, wo er neben dem alten Trog saß – sie wusste jetzt, dass es »Trog« genannt wurde – und seine Zeitung las und dabei eine Zigarette rauchte.
Sie stellte sich an den Zaun.
Ihre Mama konnte die Windhunde nicht leiden. Sie waren ihr zu dünn, sagte sie, und zu bedürftig – auch wenn Scarlett nicht wusste, was das bedeutete.
Scarlett fand sie in Ordnung. Sie waren groß und dünn, das stimmte – es waren insgesamt vier –, aber ihr glänzendes Fell erinnerte sie an die Seehunde im Zoo, den sie an ihrem Geburtstag besucht hatten. Wenn sie rannten, glichen ihre Rücken denen der Seehunde. Sie kamen an den Zaun, um sie zu begrüßen, ganz ruhig und ohne durchzudrehen oder so etwas. Sie wusste, dass ihre Mama garantiert nicht bei den Hunden war, also wandte sie sich von ihnen ab.
»Macht’s gut«, sagte sie.
Und sie überquerte den Hof erneut, um im Melkstand nachzuschauen. Sie umrundete vorsichtig die getrockneten alten Kuhfladen und die neueren von heute Morgen, die näher beim Eingang lagen und noch feucht waren. In Kuhfladen waren Krankheiten und andere winzige, so gut wie unsichtbare Dinge drin.
Sie liebte den Melkstand. Es hatte ihr schon immer gefallen, wie die Kühe langsam den Weg raufkamen, ganz von selbst, als würden sie zur Schule gehen. Ihr Papa hatte mal gemeint, sie müssten eigentlich Schultaschen auf den Rücken tragen und Schülerkappen mit Löchern für ihre Hörner drin. Dann bogen die Kühe allesamt ab, wobei sie sich manchmal anschubsten – aber nur sacht, als wollten sie eine Reihe bilden –, und betraten den Stall, um sich melken zu lassen. Jede hatte ihren eigenen Platz, und jede wusste genau, wo sie zu stehen hatte. Manchmal, zu Hause, träumte sie von den Kühen, wie sie in einer Kolonne den Weg heraufkamen, die so lange nicht enden wollte, bis sie endlich erwachte. In einem dieser Träume hatte auf der gegenüberliegenden Seite des Weges ein Fernseher gestanden, aber Scarlett hatte nicht erkennen können, was dort lief, weil ständig die Kühe daran vorbeimarschierten. Sie war aber nicht sauer deswegen, und sie versuchte auch nicht, den Platz zu wechseln. Es machte sie glücklich, den Kühen zuzuschauen. Sie liefen so dicht an ihr vorbei, dass sie sie hätte streicheln können.
Aber jetzt war keine Melkzeit. Die hatte sie heute Morgen verpasst, weil sie zu lange geschlafen hatte, und bis zur nächsten dauerte es noch eine Ewigkeit, bis kurz vorm Nachmittagstee. Den gab es, nachdem die Kühe wieder aufs Feld getrieben worden waren und Onkel Baby James sich die Arme bis hoch über die Ellbogen gewaschen hatte.
Es war ganz still im Melkstand, aber das machte ihr keine Angst. Auf dem Boden glänzten Wasserflecken, wo Onkel Baby James heute Morgen, nachdem er mit den Kühen fertig war, den Schlauch benutzt hatte. Im Melkstand war es immer angenehm kühl, selbst an heißen Tagen,
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