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Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht

Titel: Mary, Tansey und die Reise durch die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Doyle
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Scarlett. »Das richtige Wort ist Kühlschrank .«
    »Hält alles frisch«, sagte Mary.
    »Passe ich da auch noch rein?«, sagte Tansey.
    Sie lachten, bevor sie in die Verlegenheit kommen konnten, weiter darüber nachzudenken.
    »Fast sind sie schon da », sagte Scarlett.
    Tansey bemerkte, wie Mary sie aus großen Augen beobachtete. Es war offensichtlich: Mary wollte ihr eine Frage stellen.
    »Schieß los«, sagte Tansey. »Frag einfach.«
    »Na ja«, sagte Mary. »Also. Warum gibt es eigentlich Geister?«
    »Du meinst«, sagte Tansey, »warum ich überhaupt existiere?«
    »Genau«, sagte Mary.
    »Das klingt ziemlich unhöflich, Mary«, sagte Scarlett.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Tansey. »Es ist keinesfalls unhöflich.«
    »Ah, gut!«, sagte Scarlett. »Ich wollte nämlich genau dasselbe fragen!«
    »Nun dann, bitte«, sagte Tansey. »Allerdings, bevor ich anfange –«
    »Ja?«
    »Ich kann nur für mich selber sprechen«, sagte Tansey.
    »Das ist besser als gar nichts«, sagte Mary.
    »Nicht wahr?«, stimmte Tansey zu. »Also dann. Na gut. Menschen sterben. Aber manchmal – ziemlich häufig – sind sie noch nicht bereit, wirklich zu gehen. Weil es Dinge gibt, um die sie sich Sorgen machen.«
    »Ihre Kinder zum Beispiel?«, sagte Mary.
    »Bei mir«, sagte Tansey, »waren es auf jeden Fall die Kinder. Vermutlich ist das bei den meisten Geistern so. Deshalb gehen sie auch nach der Beerdigung nicht. Sie verweilen. Um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist und dass die Menschen, die sie lieben, mit dem Leben weitermachen. Deshalb bleiben sie in der Nähe.«
    »Für wie lange?«, fragte Mary.
    »Kommt ganz darauf an«, sagte Tansey. »Jedenfalls ist es bei mir so gewesen. Ich war beunruhigt, als der letzte Atemzug kam. Ich war zu besorgt – nicht einfach bloß traurig – wegen Emer und dem kleinen James.«
    »Baby James«, sagte Mary.
    Tansey lächelte.
    »Ja, so nannten wir ihn«, sagte sie. »Aber sag mal, woher weißt du das?«
    »Oma hat es mir erzählt«, sagte Mary.
    »Natürlich hat sie das«, sagte Tansey.
    »Also bist du nicht wirklich gestorben?«, sagte Mary.
    »Oh, und wie ich gestorben bin!«, sagte Tansey. »Oh Gott, das kann man wohl sagen! Bloß …«
    Von oben erklang ein sich schnell näherndes Rumpeln, und die Jungs kamen in die Küche geschossen, in einem Wettrennen zum Kühlschrank, aus dem Killer als Sieger hervorzugehen schien.
    Sie hielten inne, als sie Tansey erblickten.
    »Wir unterhalten uns über den Tod, Jungs!«, sagte Scarlett.
    »Cool«, sagte Dommo.
    »Das dürften dann wohl die berühmt-berüchtigten Jungen sein, oder?«, sagte Tansey.
    »Richtig!«, sagte Scarlett. »Dominic und Kevin! Jungs, das ist Tansey, eure – also – Nachbarin!«
    »Hi.«
    »Hi.«
    Sie waren wieder verschwunden, bevor sie es überhaupt bis zum Kühlschrank geschafft hatten. Mary lauschte dem sich nach oben zurückziehenden Lärm.
    »Zu viele Frauen auf engem Raum«, sagte Tansey. »Das konnten sie nicht verkraften.«
    »Womit du recht haben dürftest!«
    »Oh, hab ich«, sagte Tansey. »Dazu musste ich nicht mal ein Geist sein. War mein James wie diese beiden Kerle?«
    »Meine Mutter meinte, er sei ein Schlitzohr gewesen«, sagte Scarlett.
    »Oh, gut«, sagte Tansey.
    »Aber hast du ihn denn nie beobachtet?«, sagte Mary. »So wie uns jetzt?«
    »Darauf komme ich noch«, sagte Tansey. »Aber bis dahin muss ich mich erst mal vorarbeiten.«
    Sie setzte sich aufrecht hin, als müsste sie sich selber daran erinnern, dass sie noch etwas zu erzählen hatte.
    Der Kocher hatte sich abgeschaltet und Scarlett füllte Wasser in die Tassen. Tansey beobachtete sie dabei. Für Mary war klar, dass Tansey Fragen auf der Zunge lagen, nach dem elektrischen Wasserkocher, den Teebeuteln, all den Dingen, die sie zu ihren Lebzeiten nicht gekannt hatte. Mary fragte sich einmal mehr, was Tansey in all den Jahren seit ihrem Tod getan hatte.
    Es war, als hätte Tansey Marys Gedanken gehört.
    »Um Baby James habe ich mir nie allzu viele Gedanken gemacht«, sagte sie. »Er war noch ein Baby, gerade erst auf der Welt. Es war traurig für ihn, sicherlich, aber ihm würde es gut gehen. Er würde mich nicht vermissen, bestenfalls eine Vorstellung von mir, von einer Mama, die er nur aus einem Fotoalbum kannte. Es mag einem das Herz brechen, wenn man darüber nachdenkt, aber ein gebrochenes Herz reicht nicht aus, um dich in einen Geist zu verwandeln. Weil es dein eigenes gebrochenes Herz ist und das stirbt mit dem Rest von dir.

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